Escitalopram

Escitalopram (Cipralex®) wird zur Behandlung von Depressionen empfohlen.

Chemie/Pharmakologie

Escitalopram (S-Citalopram) ist das linksdrehende Enantiomer von Citalopram (Seropram® u.a.),(1) einem bizyklischen Phthalan- Derivat, das als razemische Mischung zweier Stereoisomere vorliegt. Citalopram gehört zu den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI), die antidepressiv wirken, indem sie in den präsynaptischen Neuronen des Gehirns die Wiederaufnahme des Neurotransmitters Serotonin blockieren; andere Neurotransmitter werden nicht nennenswert beeinflusst. Von den beiden Stereoisomeren ist Escitalopram über 100mal potenter als das R-Enantiomer und wohl für die pharmakologische Wirkung von Citalopram verantwortlich.(2,3)

Pharmakokinetik


Vier Stunden nach oraler Einnahme von Escitalopram werden maximale Plasmaspiegel gemessen. Angaben zur biologischen Verfügbarkeit spezifisch für Escitalopram gibt es nicht (bei Citalopram beträgt sie ungefähr 80%). Die Elimination von Escitalopram findet grossenteils in der Leber statt, wo die Substanz über die Zytochrome CYP3A4, CYP2C19 und CYP2D6 zu S-Demethylcitalopram und S-Didemethylcitalopram abgebaut wird. Die beiden Metaboliten sind schwach pharmakologisch aktiv, tragen aber kaum zur Wirkung von Escitalopram bei. Die Plasmahalbwertszeit von Escitalopram liegt zwischen 27 und 32 Stunden. Bei Leberinsuffizienz verlängert sich die Halbwertszeit um etwa das Doppelte, während eine Niereninsuffizienz nicht zu einer wesentlichen Veränderung führt.(2,3)

Klinische Studien

Bei der Beurteilung der Wirksamkeit stützt man sich einerseits auf die Studien mit rund 1000 Personen, die mit dem SEnantiomer durchgeführt wurden, anderseits auf die klinischen Erfahrungen mit dem razemischen Citalopram. Das letztere gilt besonders für die Langzeittherapie, die bei Escitalopram
noch kaum geprüft worden ist. Drei Doppelblindstudien, die jeweils nur acht Wochen gedauert hatten, sind in vollem Umfang veröffentlicht. Sie umfassten Personen, die an einer depressiven Störung («Major Depression») litten. Als Hauptmessinstrument wurde die «Montgomery-Åsberg Depression Rating Scale» (MADRS) verwendet, mit der depressive Symptome auf einer Skala von 0 bis 60 gewichtet werden; auch andere Skalen wie zum Beispiel die «Hamilton Rating Scale for Depression» (HAM-D, von 0 bis 64 reichend) kamen zur Anwendung. In einer Studie, die 380 Personen zählte, half Escitalopram (10 mg/Tag) gegen depressive Symptome signifikant besser als Placebo.(4) In einer zweiten Untersuchung erhielten 468 Personen entweder Escitalopram (10 bis 20 mg/Tag), Citalopram (20 bis 40 mg/Tag) oder Placebo. Bei zum Studienende nach 8 Wochen betrug die Differenz auf der MADRS-Skala zwischen Escitalopram und Placebo 2,9 Punkte, zwischen Citalopram und Placebo 1,5 Punkte.(5,6) In einer weiteren Studie wurden 491 Personen in vier Gruppen unterteilt: in zwei Gruppen verordnete man Escitalopram in unterschiedlichen Dosierungen (entweder 10 oder 20 mg/Tag), in einer Citalopram (40 mg/Tag) und in einer Placebo. Mit der 10-mg-Dosis von Escitalopram sank die mittlere Punktezahl auf der MADRS-Skala von 28 auf 15, mit der 20-mg-Dosis von 29 auf 15 und mit Citalopram von 29 auf 17 Punkte. Entsprechend fielen auch die Resultate auf der HAM-D-Skala aus. Die Ansprechrate – der Anteil der Behandelten, bei denen sich die MADRS-Punktezahl um mindestens 50% reduziert hatte –
betrug mit der 10-mg-Dosis von Escitalopram 50%, mit der 20-mg-Dosis 51%, mit Citalopram 46% und mit Placebo 28%. Somit zeigten sich Escitalopram und Citalopram als deutlich wirksamer als Placebo; die Unterschiede zwischen dem Razemat (Citalopram) und dem S-Enantiomer (Escitalopram) waren dagegen nicht signifikant.(7) In einer achtwöchigen Doppelblindstudie, die lediglich in Kurzform publiziert ist, erwies sich Escitalopram (10 bis 20 mg/Tag) im Vergleich mit Venlafaxin (Efexor®, 75 bis 150 mg/Tag) als leicht überlegen.(8)

Unerwünschte Wirkungen

Unter Escitalopram ist mit denselben Nebenwirkungen zu rechnen wie unter Citalopram. Zu nennen sind in erster Linie Übelkeit, verzögerte Ejakulation und andere sexuelle Störungen, Schlaflosigkeit, Schläfrigkeit, Schwindel, Mundtrockenheit, Durchfall oder Verstopfung, Appetitabnahme und verstärktes
Schwitzen.(3)

Interaktionen

Wegen der Gefahr eines Serotonin-Syndroms darf Escitalopram wie andere SSRI nicht mit MAO-Hemmern kombiniert werden; auch zusammen mit anderen serotoninergen Substanzen ist Vorsicht geboten. Wenn Escitalopram mit anderen zentral wirksamen Substanzen (inkl. Alkohol) eingenommen wird, besteht die Möglichkeit einer verstärkten Sedation. Escitalopram hemmt in vitro verschiedene Zytochrom-P450- Isoenzyme. Für CYP2D6 ist auch in vivo eine gewisse Hemmwirkung nachgewiesen. Bislang gibt- es keine Hinweise, dass Zytochrom-Hemmer oder -Induktoren einen wesentlichen Einfluss auf die Pharmakokinetik von Escitalopram haben.(3)

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Escitalopram (Cipralex®) ist kassenzulässig und als Tabletten zu 10 mg erhältlich. Indikation ist die Behandlung und Rückfallprophylaxe von Depressionen. Die empfohlene Tagesdosis beträgt 10 mg; falls nötig, kann sie auf 20 mg, ebenfalls einmal pro Tag eingenommen, erhöht werden. Bei älteren Leuten und bei einer Leberfunktionsstörung sollten nicht mehr als 10 mg/Tag verschrieben werden. Zur Anwendung von Escitalopram während der Schwangerschaft, Stillzeit oder bei Kindern sind keine Daten vorhanden. Im Tierversuch haben in sehr hohen Dosen sowohl Escitalopram wie Citalopram gewisse schädigende Wirkungen auf den Fetus gezeigt. Von Citalopram ist ferner bekannt, dass es in die Muttermilch ausgeschieden
wird. Mit einer Tagesdosis von 10 mg beträgt der monatliche Preis von Escitalopram 63.95 Franken. Citalopram (20 mg/Tag) ist als Original (Seropram®) teurer (73.55 Franken), als Generikum (Citalopram ecosol®) dagegen billiger (49.10 Franken mit halbierter 40-mg-Tablette).

Kommentar

Mit Escitalopram wird die Mode fortgesetzt, dass von bewährten razemischen Substanzen, deren Patent ausläuft, das aktive Stereoisomer als neue Wirksubstanz lanciert wird. Die Idee, dass mit dem Wegfall des «inaktiven» Stereoisomers weniger Nebenwirkungen oder Interaktionen auftreten könnten, mag von der Theorie her durchaus einleuchtend erscheinen. Doch in der klinischen Anwendung ist auch bei Escitalopram bislang nicht zu erkennen, weshalb es der razemischen Muttersubstanz überlegen sein soll. Im Vergleich mit Citalopram bietet Escitalopram weder von den Nebenwirkungen noch vom Interaktionspotential her Vorteile. Dass Escitalopram in einzelnen Punkten marginal besser gewirkt hat als Citalopram, mag für Marketingzwecke interessant sein, hat jedoch in der Praxis sicher keine Bedeutung. Escitalopram wird vom Hersteller zu einem billigeren Preis angeboten als das eigene Citalopram- Produkt – doch da unterdessen ein günstigeres Citalopram- Generikum zur Verfügung steht, ist nicht einmal der Preis ein Grund, um Escitalopram zu empfehlen.

Standpunkte und Meinungen

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Escitalopram (11. Juni 2003)
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pharma-kritik, 25/No. 3
PK72
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