Erlaubte und verbotene Drogen

ceterum censeo

Pharmakologisch aktive Substanzen dienen den Menschen nicht nur zur Behandlung von Krankheiten, sondern auch dazu, ihr Leben angenehmer, leichter oder vergnüglicher zu gestalten. Die nicht-medikamentöse Anwendung von Pharmaka muss nicht unbedingt schädlich sein, ist es aber leider sehr häufig. Dies beruht auf der Tatsache, dass bei der selbst «verordneten» Dosierung psychoaktiver Substanzen oft (und oft sehr rasch) das Mass verloren geht. Die Geschehnisse in der sogenannten Drogenszene führen uns in den letzten Jahren die Suchtproblematik besonders drastisch vor Augen.

Verbotene Drogen sind mit so vielen Problemen verbunden, dass auch unter Experten kaum Einigkeit herrscht, wie sich die Situation bessern liesse. Immer neue Substanzen werden missbraucht, immer neue gesundheitliche Gefahren tauchen auf, immer neue Gauner versuchen, aus Drogengeld Profit zu schlagen. Schon lange aber befindet sich die Schweizer Drogenszene in einem Zustand, der einer wohlhabenden Gesellschaft mit christlich-humanen Grundsätzen unwürdig ist. Es gilt daher, bald eine wirksame und dauerhafte Hilfe zu finden.

Unter den vielen Büchern, die sich mit der Drogen- und Suchtproblematik befassen, sticht ein älteres Buch durch seine Unvoreingenommenheit hervor. Dieses Werk ist 1972 von der amerikanischen «Consumer Union» veröffentlicht worden und heisst «Licit and Illicit Drugs».(1) (Der Titel des vorliegenden Editorials ist also gestohlen.) Das Buch bietet nicht nur eine ungewöhnlich präzise Analyse der Geschichte und der Hintergründe des Missbrauchs von pharmakologisch aktiven Substanzen. Es zeigt auch Möglichkeiten auf, wie man aus den bisherigen Fehlern lernen könnte. Seit 1972 hat sich zwar einiges verändert; mehrere der damals formulierten Schlussfolgerungen sind aber auch heute noch gültig und verdienen es, in Erinnerung gerufen zu werden:

-- Drogensüchtige werden immer Wege finden, zu ihrer Droge zu kommen. Die Prohibition löst das Suchtproblem nicht, sondern führt zu Verbrechen und zusätzlichen gesundheitlichen Gefahren.

-- Es ist besser, die mit Suchtmitteln verbundenen Gefahren zu reduzieren als erfolglos zu versuchen, den Missbrauch dieser Substanzen gänzlich zu unterdrücken.

-- Es ist falsch, alle verbotenen Drogen als gleich gefährlich anzusehen. Ebenso falsch ist es aber, die Gefahren der erlaubten Drogen zu unterschätzen.


Als «gewöhnlicher» Arzt bin ich ja viel öfter mit der Problematik der erlaubten Drogen konfrontiert. Dass das Rauchen und das Alkohol-Trinken unendlich viel mehr Schaden anrichten als die verbotenen Drogen, muss wohl kaum erklärt werden. So wie Heroinsüchtige heute nur als marginale Existenzen vegetieren können, sind Alkohol- und Nikotinsüchtige ein völlig normaler Bestandteil unserer Gesellschaft. Erlaubte Drogen sind so selbstverständlich erhältlich und allgemein akzeptiert, dass viele Menschen süchtig werden, ohne es rechtzeitig zu merken. Deshalb sind mehrere Personen, denen meine Hochachtung gilt und denen ich in Freundschaft verbunden bin, süchtig und schaden sich täglich selbst. Auch einige meiner Patienten mit koronarer Herzkrankheit sind bisher -- allen Bemühungen und Ermahnungen zum Trotz -- nikotinsüchtig geblieben.

Sowohl das einzelne Individuum als auch die ganze Gesellschaft sollten Drogen gegenüber das richtige Mass finden. Ich bin überzeugt, dass eine kontrollierte Legalisierung bisher verbotener Drogen den Süchtigen viel Elend ersparen könnte. Anderseits meine ich aber, dass wir erheblich mehr unternehmen sollten, um zu verhindern, dass immer wieder Menschen alkohol- oder nikotinsüchtig werden. Wenn die Ärzteschaft die Vorbeugung gesundheitlicher Schäden wirklich zu einem ihrer Ziele erklärt, so muss sie sich wesentlich aktiver gegen die erlaubten Drogen wenden, als dies heute der Fall ist.

Etzel Gysling

Literatur

  1. 1) E.M. Brecher et al.: Licit and Illicit Drugs. Consumers Union,

Standpunkte und Meinungen

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Erlaubte und verbotene Drogen (28. Dezember 1988)
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pharma-kritik, 10/No. 24
PK634
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