Roxithromycin

Synopsis

Roxithromycin (Rulid®) ist ein semisynthetisches Makrolid- Antibiotikum, das besonders zur Behandlung von Infektionen der Ohren-Nasen-Hals-Organe, der unteren Luftwege, der Haut und des Genitaltrakts empfohlen wird.

Chemie/Pharmakologie

Roxithromycin ist ein Äther-Oxim-Derivat von Erythromycin; es weist eine bessere Säurestabilität auf als Erythromycin. Wie die anderen Makrolide wirkt Roxithromycin bakteriostatisch durch Hemmung der ribosomalen Proteinsynthese.
Sein antibakterielles Spektrum ist im wesentlichen mit demjenigen von Erythromycin identisch.(1) In vitro zeigt das Medikament eine zuverlässige Aktivität gegenüber den meisten Streptokokken (inkl. Pneumokokken), gegen Listeria monocytogenes und Corynebacterium diphtheriae, gegen Neisserien, Branhamella catarrhalis, Legionellen, Bordetella pertussis, Campylobacter sp. und gegen Clostridien. Roxithromycin ist auch gegen Chlamydien, Mycoplasma pneumoniae und Ureaplasma urealyticum gut wirksam. Wie bei anderen Makroliden ist dagegen die Aktivität gegen Staphylokokken, Haemophilus influenzae und gegen Bacteroides sp. inkonstant. Enterobacteriaceae und Pseudomonas sp. sind resistent.

Pharmakokinetik

Dank seiner hohen Säurestabilität wird Roxithromycin durch den Magensaft nicht hydrolysiert. Nach oraler Verabreichung wird das Medikament rasch und zuverlässig resorbiert und ergibt innerhalb von etwa 2 Stunden maximale Plasmakonzentrationen.(2) Wenn Roxithromycin nach dem Essen eingenommen wird, so erfolgt die Resorption verzögert und die maximalen Plasmaspiegel sind niedriger.(3)  Roxithromycin wird im Blut zum grössten Teil an saures a1-Glykoprotein gebunden. Das Medikament wird wenig metabolisiert; es wird hauptsächlich mit dem Stuhl (etwa 60% in unveränderter Form, 40% als Metaboliten) ausgeschieden. Etwa 10% einer Dosis werden über die Nieren eliminiert. Die Metaboliten sind nicht oder nur wenig antimikrobiell wirksam. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt bei jungen, gesunden Personen rund 12 Stunden (Erythromycin hat eine viel kürzere Halbwertszeit von etwa 2 Stunden). Eine verlängerte Halbwertszeit (bis zu 25 Stunden) findet sich bei älteren Personen, bei Leber- und bei Niereninsuffizienz.2,4 Nach Angaben der Herstellerfirma ist aber in keinem Fall eine Dosisanpassung notwendig.

Wie andere Makrolide verteilt sich Roxithromycin aufgrund seiner Fettlöslichkeit gut in den Geweben. So werden u.a. in den Tonsillen, in den Lungen und im Urogenitaltrakt Gewebskonzentrationen erreicht, die deutlich über den minimalen Hemmkonzentrationen üblicher pathogener Keime liegen. Das Medikament gelangt aber praktisch nicht in den Liquorraum. Roxithromycin reichert sich innerhalb von Makrophagen und polynukleären Leukozyten an und eignet sich deshalb auch zur Behandlung von Infekten mit intrazellulär gelegenen Erregern (z.B. Chlamydien, Legionellen).

Klinische Studien

Roxithromycin ist in zahlreichen (vorwiegend offenen) Studien schon mehr als 5000 Patienten verabreicht worden. Die meisten Berichte über klinische Studien sind anlässlich von Symposien, die von der Herstellerfirma veranstaltet wurden, vorgelegt und oft nur in Kurzform publiziert worden.

In einer multizentrischen Doppelblindstudie erhielten Patienten mit (ausserhalb des Spitals erworbenen) Pneumonien, akuten Bronchitiden oder Exazerbationen einer chronischen Bronchitis Roxithromycin (2mal 150 mg/Tag) oder Doxycyclin (z.B. Vibramycin®, 1mal 200 mg/Tag) während mindestens fünf Tagen. Bei 276 Personen konnte der Behandlungserfolg beurteilt werden; die klinische Heilungsrate war bei beiden Medikamenten gleichwertig (83% bzw. 84% Heilungen).(5) In einer anderen Doppelblindstudie wurden 90 schwarze Grubenarbeiter mit Pneumokokken- Pneumonie entweder mit Roxithromycin (2mal 150 mg/Tag) oder Cefradin (Sefril®, 2mal 1 g/Tag) behandelt. Mit beiden Antibiotika ergab sich klinisch in praktisch allen Fällen eine befriedigende Besserung; dagegen liessen sich bei rund einem Fünftel beider Gruppen nach 10 Tagen noch Pneumokokken im Sputum nachweisen.(6) Roxithromycin hat bei Infekten der unteren Luftwege auch im Vergleich mit Erythromycin und Amoxicillin (Clamoxyl ®) etwa gleichwertige Resultate gezeitigt.(7,8)

Zwei einfachblinde Studien dienten dem Vergleich von Roxithromycin (2mal 150 mg/Tag oder 1mal 300 mg/Tag) mit Erythromycinäthylsuccinat (z.B. Erythrocin® ES; 4mal 400 mg/Tag) bei Streptokokken-Pharyngitis. Mit allen drei Behandlungsvarianten ergab sich in den meisten Fällen ein gutes klinisches Resultat.(9,10) In der einen (kleineren) Studie waren jedoch 14 Tage nach Behandlungsbeginn bei 14 der 21 mit Roxithromycin Behandelten im Rachenabstrich noch Streptokokken nachweisbar, während dies nur noch bei 1 von 10 Patienten der Erythromycin- Gruppe der Fall war.(10)

Bei 76 Personen mit Infektionen der Haut und der Weichteile ergab ein doppelblinder Vergleich zwischen Roxithromycin (2mal 150 mg/Tag) und Doxycyclin (200 mg/Tag) klinisch und mikrobiologisch eine etwas (statistisch nicht signifikant) bessere Wirkung von Roxithromycin. (11)
Auch bei nicht-gonorrhoischen Urogenitalinfekten (Urethritis, Zervikovaginitis) wurde Roxithromycin (1mal 300 mg/Tag) mit Doxycyclin (1mal 200 mg/Tag) verglichen. Diese Studie umfasste 86 Männer und 13 Frauen, dauerte mindestens 10 Tage und ergab ein gleichwertiges Resultat der beiden Antibiotika.(12) Gemäss einer offenen Studie ist bei nicht-gonorrhoischer Urethritis einmal täglich verabreichtes Roxithromycin (300 mg) mindestens so wirksam wie zwei tägliche Roxithromycin-Dosen.(13)

Bei Kindern ist Roxithromycin in verschiedenen offenen Studien in Dosen von 5 bis 10 mg/kg/Tag verabreicht worden. So ist das Medikament z.B. bei 101 Kindern mit ganz verschiedenen Infektionen (Streptokokken-Pharyngitis, Otitis media, Pneumonie, Hautinfekte) erfolgreich eingesetzt worden; bei 15 bis 20% der Kinder mit Pharynxund Hautinfekten fanden sich allerdings nach der Behandlung noch positive Bakterienkulturen.(14)

Unerwünschte Wirkungen

Unerwünschte Wirkungen von Roxithromycin sind meistens gastro-intestinaler Natur (Nausea, Erbrechen, Magenbeschwerden, Durchfall). Ausserdem sind unter Roxithromycin Kopfschmerzen und vereinzelt Exantheme oder ein Anstieg der eosinophilen Leukozyten beobachtet worden. Wie unter Erythromycin (und anderen Antibiotika) kann unter Roxithromycin ein Anstieg der Leberenzyme auftreten.
Obwohl viele Autoren Roxithromycin als besser verträglich als das jeweilige Vergleichsmedikament bezeichnet haben, sind kaum signifikante Unterschiede zu Erythromycin dokumentiert.(7,9,10) Gemäss einer Übersicht der Herstellerfirma werden nur etwa 4% der behandelten Patienten von unerwünschten Wirkungen betroffen.(15) Aufgrund kontrollierter Studien(6,7,12) ist aber mit einer Nebenwirkungsrate von 5 bis 10% zu rechnen.

Interaktionen
Roxithromycin beeinflusst die Kinetik von Theophyllin geringfügig;(16) eine Reduktion der Theophyllindosis ist eventuell nötig. Andere Interaktionen konnten bisher nicht beobachtet werden. Andere Makrolid-Antibiotika erhöhen das Nekroserisiko von Mutterkornalkaloiden; die gleichzeitige Verabreichung von Roxithromycin und Mutterkornalkaloiden gilt deshalb als kontraindiziert.

Dosierung/Verabreichung/Kosten

Roxithromycin (Rulid®) steht als Tabletten zu 150 mg zur Verfügung, geeignet für die Behandlung von Erwachsenen und Kindern mit einem Körpergewicht von mindestens 40 kg. (Geeignete Darreichungsformen für kleinere Kinder sind zurzeit nicht erhältlich.) Infektionen mit sensiblen Keimen sollen mit 2mal 150 mg/Tag behandelt werden; die Verabreichung einer täglichen Dosis von 300 mg ist noch nicht genügend dokumentiert. Die Tabletten sollen eine Viertelstunde vor dem Essen eingenommen werden.
Das Präparat ist kassenzulässig. In der genannten Tagesdosis kostet es Fr. 7.15 täglich und ist damit etwas billiger als die meisten Erythromycin-Präparate (vier 500 mg- Erythromycin-Tabletten können, je nach Präparat, mehr als 10 Franken kosten).

Kommentar

Das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Roxithromycin lässt sich noch nicht definitiv festlegen. Die teilweise unbefriedigenden mikrobiologischen Resultate bei Streptokokken-Pharyngitis mahnen zur Vorsicht. Im übrigen scheint das neue Medikament aber Erythromycin ebenbürtig zu sein; zudem weist es den Vorteil einer längeren Halbwertszeit auf. Es ist möglich, dass Roxithromycin bei bestimmten Indikationen oder bei älteren Personen nur einmal täglich gegeben werden muss; weitere Studien sollten diesen Punkt noch klären. Sollten sich die bisher überwiegend positiven Erfahrungen bestätigen, so könnte Roxithromycin zum Makrolid-Antibiotikum der ersten Wahl werden.

Literatur

  1. 1) A. Bryskier et al.: in J.P. Butzler und H. Kobayashi (Herausgeber), Macrolides: A Review with an Outlook on Future Developments, p. 7, Excerpta Medica Amsterdam, 1986
  2. 2) H.B. Lassman et al.: J. Clin. Pharmacol. 28: 141, 1988
  3. 3) G. Segre et al.: Br. J. Clin. Pract. 42: Suppl. 55, 55, 1988
  4. 4) Verschiedene Autoren: Br. J. Clin. Pract. 42: Suppl. 55, 59, 61 und 63, 198
  5. 5) J.. Charpin et al.: Path. Biol. 36: 548, 1988
  6. 6) B.J. Zeluff et al.: Eur. J. Clin. Microbiol. Infect. Dis. 7: 69, 1988
  7. 7) A. Bertrand et al.: Br. J. Clin. Pract. 42: Suppl. 55, 98, 1988
  8. 8) J.M. Hubrechts et al.: Br. J. Clin. Pract. 42: Suppl. 55, 102, 1988
  9. 9) J.M. Herron: J. Antimicrob. Chemother. 20: Suppl. B, 139, 1987
  10. 10) G.P. Melcher et al.: J. Antimicrob. Chemother. 22: 549, 1988
  11. 11) P. Agache et al.: J. Antimicrob. Chemother. 20: Suppl. B, 153, 1987
  12. 12) P. Morel et al.: Br. J. Clin. Pract. 42: Suppl. 55, 108, 1988
  13. 13) A.H. van der Willigen et al.: Eur. J. Clin. Microbiol. 5: 612, 1986
  14. 14) D. Stamboulian et al.: Br. J. Clin. Pract. 42: Suppl. 55, 115, 1988
  15. 15) F. Blanc et al.: J. Antimicrob. Chemother. 20: Suppl. B, 179, 1987
  16. 16) B. Saint-Salvi et al.: J. Antimicrob. Chemother. 20: Suppl. B, 121, 1987

Standpunkte und Meinungen

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Roxithromycin (28. März 1989)
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