Hat pharma-kritik immer recht? Keine Rede davon!

ceterum censeo

Es gehört zu den Aufgaben von pharma-kritik, zu Fragen der Therapiewahl und des relativen Wertes einzelner Medikamente dezidiert Stellung zu nehmen. Unser Blatt dient seinen Leserinnen und Lesern nur dann, wenn wir versuchen, das Resultat vergleichender Wertung möglichst unzweideutig auszusprechen. Dabei lässt es sich nicht vermeiden, dass pharma-kritik-Beurteilungen manchmal im Gegensatz zu anderen Interpretationen und Meinungen stehen. Wie zahlreiche Briefwechsel aus den letzten Jahren zeigen, haben für uns z.B. unerwünschte Wirkungen, aber auch Kostenüberlegungen ein anderes Gewicht als für die pharmazeutische Industrie.

Unsere Bemühung, Nutzen und Risiko aus einer ganzheitlichen Sicht des kranken Menschen heraus zu werten, ergibt aber auch Konflikte mit Kolleginnen und Kollegen, die ihr Spezialgebiet tangiert sehen. Die Meinung der Experten, welche selbst mit bestimmten Medikamenten oder Verfahren gearbeitet haben, verdient unbedingt Beachtung. Vielleicht bringt die Infusionstherapie mit Antidepressiva doch mehr als die orale Verabreichung dieser Medikamente. Vielleicht müssen einzelne Frauen wirklich viel unerwünschte Wirkungen in Kauf nehmen, um vor dem Rezidiv eines Mammakarzinoms geschützt zu sein. Vielleicht lohnt es sich tatsächlich, chronische «Beinbeschwerden » mit oralen Venenpharmaka zu behandeln. Beispiele dieser Art liessen sich noch in grosser Zahl anführen.

Deshalb hat pharma-kritik immer wieder auch Kommentare veröffentlicht, die ganz oder teilweise von der redaktionellen Meinung abwichen. Nicht zu jeder therapeutischen Frage lässt sich ein Konsensus finden. Die Veröffentlichung einer kontroversen Stellungnahme erlaubt in solchen Fällen, die pharma-kritik-Meinung unverwässert wiederzugeben, aber gleichzeitig zu zeigen, dass auch andere Meinungen vertretbar sind.

Besonders schwierig ist es, neu eingeführte Medikamente zu beurteilen. Die wichtige Aufgabe, rasch und unabhängig über neue Substanzen zu berichten, gehört unbedingt zu den Pflichten von pharma-kritik. Oft sind aber erst wenige Studien veröffentlicht, welche eine vergleichende Beurteilung ermöglichen. Die Zahl der Kolleginnen und Kollegen, welche über Erfahrungen mit dem neuen Mittel verfügen, ist meistens klein. Es darf auch nicht vergessen werden, dass solche Experten aus verschiedenen Gründen nicht immer ganz unbefangen sind.

So ist es z.B. durchaus einfühlbar, dass neue Therapien im eigenen Fachgebiet immer mit einem gewissen Enthusiasmus begrüsst werden. Vor diesem Enthusiasmus ist auch pharma-kritik nicht gefeit; einzelne Beurteilungen mögen deshalb auch einmal zu «positiv» ausfallen. (Dies ist jedenfalls die Meinung eines deutschen Kollegen, der aufgrund ungünstiger Erfahrungen in der Bundesrepublik Deutschland unsere Wertung, Chinolone seien «relativ atoxische Medikamente»(1) als blauäugig ablehnt.) Es ist oft sehr schwierig, das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Medikamenten richtig einzuschätzen. Unser Blatt erhebt deshalb durchaus nicht den Anspruch, die einzig gültige Meinung zu vertreten.

Ob unsere Beurteilung von Omeprazol korrigiert werden muss, ist jedoch noch völlig offen. Wie aus dem Kommentar in dieser Nummer ersichtlich, ist Professor Blum der Meinung, Omeprazol verdiene eine weit positivere Wertung, als sie in unserer Ausgabe vom 28. Januar 1989 geäussert wird.(2) Ich möchte auf den Versuch verzichten, rechthaberisch alle von Prof. Blum angeführten Punkte zu entkräften. Immerhin muss zur Information angefügt werden, dass das «Advisory Committee» der amerikanischen Arzneimittelbehörde (FDA) Omeprazol vorläufig nicht zur Behandlung von Duodenalulzera zulassen will. (Die Indikation «Magenulkus» wurde in den FDA-Besprechungen noch nicht in Betracht gezogen.) Auch in der Therapie einer Ösophagitis soll die Anwendung auf therapierefraktäre Fälle und auf eine Dauer von maximal acht Wochen beschränkt bleiben.(3) Zu einer Revision der pharma- kritik-Meinung zu Omeprazol besteht also vorderhand kein Anlass. Omeprazol ist nun aber in der Schweiz im Handel und ich kann nur hoffen, dass sich der von Prof. Blum vertretene Optimismus bestätigen wird.

Etzel Gysling

Literatur

  1. 1) B. Holzer: pharma-kritik 10: 49, 1988
  2. 2) B. Widmer: pharma-kritik 11: 5, 1989
  3. 3) Scrip No. 1397: 24, 1989

Standpunkte und Meinungen

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Hat pharma-kritik immer recht? Keine Rede davon! (28. März 1989)
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pharma-kritik, 11/No. 06
PK619
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