Isradipin

Synopsis

Isradipin (Lomir®) ist ein neuer Kalziumantagonist, der zur Behandlung der arteriellen Hypertonie empfohlen wird.

Chemie/Pharmakologie

Isradipin ist ein Dihydropyridin; der Prototyp dieser Gruppe ist Nifedipin (z.B. Adalat®). In die gleiche Gruppe gehören Nitrendipin (Baypress®) und Felodipin (Munobal ®, Plendil®). Die Dihydropyridine bewirken im Vergleich mit Verapamil (z.B. Isoptin®) und Diltiazem (Dilzem ®) eine stärkere Vasodilatation und haben nur eine geringe Wirkung auf das Reizleitungssystem des Herzens und auf das Myokard. Isradipin hat auch im Vergleich mit Nifedipin eine geringere negativ inotrope Wirkung. Invitro- Studien haben eine negativ chronotrope Wirkung ergeben, die aber bei gesunden Probanden und Patienten mit krankem Sinusknoten nicht nachgewiesen werden konnte. Wie andere Dihydropyridine führt Isradipin zu einer leichten Zunahme der glomerulären Filtrationsrate, des renalen Plasmaflusses und zu einer deutlichen Zunahme der Natrium- und Harnsäureclearance. Die Natriurese trägt möglicherweise zur Blutdrucksenkung bei.(1)
Isradipin bewirkt einen signifikanten Anstieg der Plasma- Renin-Aktivität und einen leichten Anstieg der Noradrenalin- Plasmaspiegel. Die Glukosetoleranz wird von Isradipin nicht beeinflusst.

Pharmakokinetik

Isradipin wird nach oraler Gabe fast vollständig resorbiert; infolge des ausgeprägten «First-pass»-Metabolismus in der Leber gelangen aber nur etwa 17% in den grossen Kreislauf. Maximale Plasmakonzentrationen werden 2 bis 3 Stunden nach Einnahme einer Kapsel erreicht. Die Plasmakonzentrationen zeigen in allen Altersgruppen grosse interindividuelle Unterschiede. Zudem sind die durchschnittlichen Werte bei älteren Patienten rund 25% höher als bei jüngeren. Noch etwas höhere Plasmaspiegel werden bei Patienten mit eingeschränkter Leberfunktion erreicht. Auch Patienten mit einer leichten Niereninsuffizienz haben ähnliche Werte; bei schwerer Niereninsuffizienz fand sich die biologische Verfügbarkeit dagegen reduziert. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt etwa 8 Stunden.(2)
Isradipin wird in der Leber fast vollständig metabolisiert und die inaktiven Metaboliten werden im Verhältnis von 2:1 mit dem Urin bzw. mit dem Stuhl ausgeschieden.

Klinische Studien

Isradipin wurde in zahlreichen kontrollierten Studien gegenüber Placebo und anderen Antihypertensiva geprüft. In den meisten Studien wurden die Dosen nach kurzen Behandlungsphasen erhöht. Es ist deshalb oft schwierig, den Effekt einer bestimmten Dosis zu beurteilen. Dies gilt insbesondere für die von der Firma empfohlene, relativ niedrige Dosis zur Behandlung der Hypertonie. In mehreren Studien wurde der Blutdruck nicht kurz vor Einnahme der nächsten Dosis gemessen oder die Zeit der Blutdruckmessung gar nicht angegeben, was die Beurteilung der Wirkungsdauer erschwert oder unmöglich macht.
In einer fünfwöchigen Multizenterstudie wurden 203 Patienten mit einem diastolischen Blutdruck von 100-119 mm Hg mit verschiedenen Isradipindosen (zweimal täglich 2,5 mg, 5,0 mg, 7,5 mg, 10 mg) oder Placebo behandelt. Der systolische Blutdruck im Liegen wurde mit einer Tagesdosis von 10 mg maximal um 20 mm Hg gesenkt, der diastolische mit 15 mg/Tag um 11 mm Hg. Die Blutdrucksenkung war am ausgeprägtesten bei hohem Ausgangsblutdruck, und sie war deutlich dosisabhängig bis zu einer Dosis von 10 mg täglich.(3)
In einer kleineren Crossoverstudie wurden 23 Patienten mit einem diastolischen Blutdruck von über 100 mm Hg während 9 Wochen mit Isradipin oder Placebo behandelt. Die Isradipindosis betrug, jeweils während 3 Wochen, zweimal täglich 2,5 mg, 5 mg und 7,5 mg. Nach einer dreiwöchigen Behandlung mit zweimal 2,5 mg Isradipin täglich waren die Blutdruckwerte nur wenig niedriger als vor Behandlung (minus 9/7 mm Hg) oder unter Placebo (minus 6/3 mm Hg). Erst die Behandlung mit zweimal 7,5 mg/Tag ergab eine gute Blutdrucksenkung von 18/12 mm Hg.(4)
In einer multizentrischen Studie erhielten 178 Patienten mit leichter bis mittelschwerer Hypertonie kleine Isradipindosen (zweimal täglich 0,5 mg, 1,25 mg oder 2,5 mg) oder Placebo. Der diastolische Blutdruck, gemessen zwölf Stunden nach der letzten Medikamenteneinnahme, sank nach einer fünfwöchigen Behandlung in der Placebogruppe um 5 mm Hg, in den Gruppen, die zweimal 1,25 oder 2,5 mg Isradipin erhielten, um 9 mm Hg. Eine Blutdrucksenkung um mindestens 10 mm Hg wurde in der Placebogruppe bei 23% der Patienten erreicht, in den Gruppen der mit zweimal täglich 0,5 mg, 1,25 mg oder 2,5 mg Behandelten bei 32%, 51% und 44%.(5)
In einer Studie bei 95 Hypertonikern wurde Isradipin mit Diltiazem (Dilzem®) verglichen. Die Dosis wurde schrittweise von 2,5 mg bis 10 mg Isradipin zweimal täglich bzw. von 30 mg bis 120 mg Diltiazem dreimal täglich erhöht, falls der diastolische Blutdruck noch über 90 mm Hg betrug. Nach einer Behandlung von 10 Wochen betrug die durchschnittliche tägliche Dosis 13,7 mg Isradipin bzw. 293 mg Diltiazem. Darauf wurde die Studie noch 3 Wochen mit konstanten Dosen weitergeführt. Die Blutdrucksenkung betrug für Isradipin 26/17 mm Hg, für Diltiazem 15/15 mm Hg.(6)
In einer multizentrischen Studie wurden 152 Patienten mit einer leichten bis mittelschweren Hypertonie mit Isradipin oder Atenolol (Tenormin®) behandelt. Während vier Wochen wurde nach Bedarf die Tagesdosis von Atenolol von 50 mg auf 100 mg, von Isradipin von 5 mg bis 20 mg erhöht, danach wurden die Dosen während drei Wochen nicht mehr verändert. Am Schluss betrug die durchschnitt-liche Tagesdosis 13,5 mg Isradipin bzw. 83,8 mg Atenolol. Die Senkung des diastolischen Blutdruckes war gleich, der systolische Druck wurde durch Isradipin stärker gesenkt (minus 28 bzw. minus 21 mm Hg). Auffallend sind in dieser Studie die durchschnittlichen Dosen, mit welchen ähnlich gute Effekte erzielt wurden. Die Dosis von Atenolol liegt im üblichen empfohlenen Bereich, diejenige von Isradipin deutlich über der von der Firma empfohlenen Dosis.(7)
Nach Angaben der Herstellerfirma entspricht die blutdrucksenkende Wirkung von Isradipin derjenigen von Nifedipin; Einzelheiten der entsprechenden Studien sind bisher nicht veröffentlicht. In weiteren Studien wurde Isradipin mit Hydrochlorothiazid (Esidrex® u.a.), Propranolol (Inderal® u.a.) und Prazosin (Minipress® u.a.) verglichen. In diesen Studien hat sich Isradipin in der blutdrucksenkenden Wirkung den andern Medikamenten als ebenbürtig oder überlegen erwiesen, wobei wie auch in den oben erwähnten Studien relativ hohe Isradipindosen eingesetzt wurden.
In einer kleinen randomisierten Crossoverstudie mit elf Patienten wurde Isradipin mit Nifedipin in der Behandlung der Angina pectoris verglichen. Während 6 Wochen wurde die Isradipindosis von 2,5 auf 7,5 mg dreimal täglich und die Nifedipindosis von 5 auf 20 mg dreimal täglich erhöht. Die Wirkung der beiden Medikamente auf Nitratkonsum, Schwere und Häufigkeit der Angina-pectoris- Anfälle und ST-Senkung war nicht signifikant verschieden. Nur der systolische Blutdruck stieg während Belastung unter Nifedipin stärker an als unter Isradipin.(8)

Unerwünschte Wirkungen

Die meisten unerwünschten Wirkungen von Isradipin sind dosisabhängig. Am häufigsten treten die für alle Dihydropyridine typischen Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen (5 bis 15%), Hitzewallungen (5 bis 10%) und Knöchelödeme (1 bis 15%) auf. Weitere, weniger häufige Nebenwirkungen sind Magen-Darmbeschwerden, Obstipation, Schwindel, Krämpfe in den Beinen, Müdigkeit, Thoraxschmerzen, Palpitationen. Insgesamt traten bei 20 bis 70% der Patienten unerwünschte Wirkugen auf. Damit ist Isradipin ungefähr gleich gut verträglich wie andere Antihypertensiva; so klagten z.B. in der oben erwähnten Vergleichsstudie 70% unter Isradipin und 62% unter Diltiazem über unerwünschte Wirkungen.(6) In einer gut dokumentierten Vergleichsstudie verursachte Isradipin bei gleicher antihypertensiver Wirksamkeit allerdings deutlich häufiger unerwünschte Wirkungen als Propranolol.(9)
Interaktionen: Genau untersucht wurde bisher nur die gleichzeitige Gabe von Isradipin und Digoxin. Im Gegensatz zu Verapamil, das die Plasmaspiegel von Digoxin eindeutig erhöhte, führte Isradipin nur zu einer unwesentlichen Erhöhung der Digoxin-Spitzenspiegel.(10)

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Isradipin (Lomir®) ist als teilbare Tabletten zu 2,5 mg erhältlich. Das Medikament wird vom 15. März 1990 an kassenzulässig sein. Die Herstellerfirma empfiehlt generell die Verabreichung von zweimal 2,5 mg täglich; bei Leber- und Niereninsuffizienz soll die Anfangsdosierung halbiert werden. Die monatlichen Behandlungskosten bei einer Dosis von zweimal täglich 2,5 mg betragen Fr. 61.20Korrigendum Im Vergleich dazu betragen die Kosten von Nifedipin Fr. 55.80, wenn mit zweimal täglich 20 mg Adalat® retard behandelt wird. Nifedipin steht auch in deutlich billigeren

Kommentar

Isradipin (Lomir®) ist ein neuer, selektiv auf die Gefässe wirkender Kalziumantagonist, dessen Wirksamkeit in zahlreichen Studien nachgewiesen wurde. Es besteht aber ein grosser Gegensatz zwischen der in den meisten Studien eingesetzten Dosis (oft 10 mg/Tag und mehr) und der vom Hersteller empfohlenen Dosis von 5 mg täglich. Vergleiche mit Nifedipin, dem Prototyp dieser Gruppe, sind noch kaum publiziert. Es ist deshalb nicht klar, ob Isradipin in äquipotenten Dosen weniger unerwünschte Wirkungen macht als das (billigere) Nifedipin.

Literatur

  1. 1) O.L. Pedersen et al.: Am. J. Med. 86: Suppl. 4A, 15, 1989
  2. 2) H.F. Schran et al.: Am. J. Med. 84: Suppl. 3B, 80, 1988
  3. 3) A.M.M. Shepherd et al.: J. Cardiovasc. Pharmacol. 13: 580, 1989
  4. 4) O.K. Andersson et al.: J. Hypertension 7: 465, 1989
  5. 5) The Italian-Belgian Isradipine Study Group: Am. J. Med. 86: Suppl. 4A, 94, 1989
  6. 6) A. Vermeulen et al.: Am. J. Med. 84: Suppl. 3B, 425, 1988
  7. 7) Isradipine in Hypertension Study Group: Am. J. Med. 86: Suppl. 4A, 119, 1989
  8. 8) C.E. Handler et al.: Intern. J. Cardiol. 18: 15, 1988
  9. 9) L.M. Prisant et al.: Arch. Intern. Med. 149: 2453, 1989
  10. 10) S.M. Rodin et al.: Clin. Pharmacol. Ther. 43: 668, 1988

Standpunkte und Meinungen

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Isradipin (28. November 1989)
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pharma-kritik, 11/No. 22
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