Sertralin

Synopsis

Sertralin (Gladem®, Zoloft®) ist ein selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, der zur Behandlung von Depressionen und Zwangsneurosen empfohlen wird.

Chemie/Pharmakologie

Sertralin, ein Naphthylamin-Derivat, hemmt selektiv die Serotonin-Wiederaufnahme in das präsynaptische Neuron und erhöht so die Serotoninkonzentration im synaptischen Spalt. Seine Wirkung gleicht somit derjenigen von anderen Serotonin-Wiederaufnahmehemmern wie Fluoxetin(Fluctine®); in seiner chemischen Struktur unterscheidet sich Sertralin aber von allen anderen Antidepressiva.(1)Der genaue Mechanismus der psychotropen Wirkungist wie bei anderen Antidepressiva nicht bekannt.Sertralin besitzt keine Affinität zu den Rezeptoren anderer Neurotransmitter. Eine Sertralin-Behandlung führtein Tierversuchen zu einer Abnahme der Empfindlichkeit der noradrenergen Rezeptoren im Gehirn.(1)

Pharmakokinetik

Sertralin wird nach oraler Verabreichung ausgesprochenlangsam resorbiert: erst nach etwa 6-8 Stunden sind maximale Plasmaspiegel erreicht.(1) Das Medikament wird grossenteils präsystemisch metabolisiert und erreicht deshalbnur eine Bioverfügbarkeit von etwa 32%. Einnahme mitdem Essen ergibt eine etwas höhere Bioverfügbarkeit (40%). Die Plasmahalbwertszeit beträgt 24 bis 26 Stunden. Nach etwa einer Woche regelmässiger Verabreichung ist ein Fliessgleichgewicht («steady state») erreicht. Durchhepatische Metabolisierung entsteht Desmethylsertralin,ein Metabolit mit einer langen Halbwertszeit (3-4 Tage),aber ohne klinisch relevante Aktivität. Die Metabolitenwerden mit dem Urin und dem Stuhl ausgeschieden; im Urin findet sich praktisch kein unverändertes Sertralin.(1) Ältere Leute eliminieren Sertralin verzögert (Halbwertszeitum 36 Stunden). Obwohl keine entsprechenden Datenvorliegen, ist anzunehmen, dass bei eingeschränkter Leberfunktion mit einer reduzierten Clearance und entsprechend verlängerter Halbwertszeit zu rechnen ist.

Klinische Studien

Die antidepressive Wirksamkeit von Sertralin wurde in mehreren kontrollierten Studien nachgewiesen. Dabeiwurden die üblichen diagnostischen Kriterien und Bewertungsskalen(z.B. «Hamilton Depression Rating Scale »und  «Clinical Global Impression Scale») angewandt. In einer nordamerikanischen Dosisfindungsstudie wurden während sechs Wochen verschiedene Sertralin-Dosen (50,100, 200 mg) mit Placebo verglichen. Bei insgesamt 289 Personen mit einer mittelschweren bis schweren Depression war Sertralin in allen Dosen signifikant wirksamer als Placebo; die höchste Dosis (200 mg/Tag) war etwas wirksamer als die kleineren Dosen.(1)

Im Vergleich mit trizyklischen Antidepressiva zeigte sich Sertralin in verschiedenen Studien ähnlich wirksam. Grosse Vergleiche wurden mit Amitriptylin (Saroten® u.a.) durchgeführt. In einer Doppelblindstudie bei 448 Patienten mit schwerer Depression wurde die Dosis initial titriert und so relativ hohe durchschnittliche Tagesdosen (Sertralin:159 mg, Amitriptylin: 111 mg) erreicht. Zwischen den beiden Medikamenten ergab sich kein signifikanter Unterschied in der antidepressiven Wirkung; gegenüber Placebo waren beide deutlich wirksamer.(2)
In einer anderen Doppelblindstudie wurde Sertralin (50bis 200 mg/Tag) bei älteren Leuten mit Amitriptylin (50 bis150 mg/Tag) verglichen. Auch in dieser Studie waren die beiden Antidepressiva ungefähr gleich gut wirksam. Eine relevante Besserung ergab sich bei 69% der mit Sertralin und bei 63% der mit Amitriptylin behandelten Patienten.(3)
In kleineren Vergleichsstudien konnte auch eine ähnlic heantidepressive Wirksamkeit von Sertralin und Imipramin(Tofranil®) sowie Dosulepin (Protiaden®) nachgewiesen werden. Der Vergleich mit Dosulepin ist insofern erwähnenswert, als bei dieser in Allgemeinpraxen durchgeführten Studie für leichte Fälle von Depression und allgemein für Dosulepin kein signifikanter Wirkungsunterschied gegenüber Placebo gezeigt werden konnte!(4)
Interessant ist ferner eine Langzeit-Doppelblindstudie, in der 295 Personen im Anschluss an eine offene Sertralin-Behandlung während 44 Wochen entweder unverändertihre Sertralin-Dosis oder Placebo erhielten. Während der ganzen Doppelblindphase hatten die mit Sertralin Behandelten signifikant weniger Rückfälle in eine Depression.(5) Bisher wurde nur eine Studie publiziert, in der Sertralin mit einem anderen Serotonin-Wiederaufnahmehemmer verglichen wurde: In dieser achtwöchigen Doppelblindstudie erhielten 48 Personen Sertralin (mittlere Dosis: 72mg/Tag) und 40 Fluoxetin (mittlere Dosis: 28 mg/Tag). In beiden Gruppen konnte schon nach einer Woche eine deutliche Besserung der Depression festgestellt werden. Ein signifikanter Unterschied zwischen Fluoxetin und Sertralin fand sich während der ganzen Studie nicht. (6)Wie andere Serotonin-Wiederaufnahmehemmer ist Sertralinauch bei Zwangsneurosen wirksamer als Placebo.Gemäss einer kontrollierten Studie ergab Sertralin (50 bis 200 mg/Tag) bei Personen mit obsessiv-kompulsiven Störungeneine signifikante Wirkung. Nach 8 Wochen war bei 56% der mit Sertralin behandelten, aber nur bei 32% der Placebo-behandelten Patienten eine Besserung erreicht.(7) Ob Sertralin in seiner Wirksamkeit Clomipramin (Anafranil®) gleichkommt, ist nicht gesichert.

Unerwünschte Wirkungen

Sertralin hat das für Serotonin-Wiederaufnahmehemmer charakteristische Nebenwirkungsprofil. Es verursacht oft (je bei 12% oder mehr) Brechreiz, Durchfall, Kopfschmerzen,Schlaflosigkeit und -- bei Männern -- Störungen der Sexualfunktion (verzögerte Ejakulation u.a.). Auch Mundtrockenheit, Schwindel und Müdigkeit oder Somnolenzsind nicht selten, jedoch weniger häufig als bei den trizy klischenAntidepressiva. Gesamthaft dürften etwa 30 bis 50% der Behandelten von unerwünschten Wirkungen betroffen sein. In einzelnen Studien brachen über 30% der Patienten die Behandlung wegen Nebenwirkungen ab. (3) Zu den seltenen, aber unangenehmen Komplikationen gehören extrapyramidale Syndrome (besonders Akathisie) und inadäquate Antidiuretin-Sekretion (SIADH). Kardiovaskuläre Nebenwirkungen (wie sie unter trizyklischen Antidepressivahäufig sind) wurden bisher praktisch nicht beobachtet. Nur bei einem Patienten mit koronarer Herzkrankheit wurden schwere pektanginöse Beschwerden in Zusammenhang mit Sertralin gebracht.(8) Ob Sertralin suizidale Tendenzen verstärken kann, ist nicht geklärt.

Interaktionen

Bei gleichzeitiger Verabreichung von Serotonin-Wiederaufnahmehemmernund MAO-Hemmern kann es zu einemeinem «Serotonin-Syndrom» mit vegetativer Instabilität, Fieber, Rigor und Konfusion kommen. Zwischen einer Behandlung mit Sertralin und einer MAO-Hemmer-Therapie soll eine Pause von 2 Wochen eingeschaltet werden. Bei gleichzeitiger Verabreichung mit Cimetidin (Tagamet® u.a.) steigen die Sertralin-Plasmaspiegel an. Sertralinkann die Wirkung oraler Antikoagulantien etwas verstärken; entsprechende Kontrollen sind angezeigt.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Sertralin (Gladem®, Zoloft®) ist als Tabletten zu 50 mg erhältlich und kassenzulässig. Üblicherweise wird geraten, mit einer Dosis von 50 mg/Tag zu beginnen. Fachleute empfehlen aber oft, mit der halben Dosis zu beginnen, um die Nebenwirkungen initial zu reduzieren. Die Dosis kann in 50-mg-Schritten allmählich (über Wochen) bis auf 200 mg/Tag gesteigert werden. Höhere Dosen verursachen aber mehr Nebenwirkungen. Mangels entsprechenden Erfahrungensollte das Medikament in der Schwangerschaft und während der Stillzeit vermieden werden. Sertralin geht in die Muttermilch über. Bei eingeschränkter Leber funktionund bei Niereninsuffizienz empfiehlt sich einebesonders zurückhaltende Dosierung.
Die übliche Tagesdosis (50 mg) kostet wie bei anderen Serotonin-Wiederaufnahmehemmern 95 Franken pro Monat. Zum Vergleich: Übliche Dosen trizyklischer Antidepressiva kosten zwischen 15 und 20 Franken monat ich.

Kommentar

Mit Sertralin sind in der Schweiz bereits fünf verschiedene Serotonin-Wiederaufnahmehemmer verfügbar. Obwohl es sich um Substanzen mit recht unterschiedlichen Strukturenhandelt, weisen diese Medikamente viele Ähnlichkeiten auf. Sie erreichen alle ungefähr die antidepressive Wirksamkeitder Trizyklika, haben jedoch ein ganz anderes Nebenwirkungsprofil. Oft wird die Tatsache, dass Serotonin-Wiederaufnahmehemmer bei Vergiftungen ein geringeres kardiovaskuläres Risiko aufweisen, als besonders bedeutsam bezeichnet. Bereits vertreten einige Fachleute die Meinung, Serotonin-Wiederaufnahmehemmer seien die Antidepressiva der ersten Wahl. Vor- und Nachteile dieser Medikamente sind aber noch nicht umfassend definiert. So kann Sertralin zwar wie die anderen Substanzen der Gruppe als gute (wenn auch sehrteure) Alternative bezeichnet werden, wenn jemand trizyklischeAntidepressiva schlecht verträgt. Ob es aber für Herzkranke oder ältere Leute allgemein geeigneter ist als Trizyklika, ist zur Zeit nicht genügend untersucht. Auch der Nutzenzur Depressions-Rückfallprophylaxe sowie bei Zwangsneurosen muss noch besser dokumentiert werden.

Literatur

  1. 1) Murdoch D, McTavish D. Drugs 1992; 44: 604-24
  2. 2) Reimherr FW et al. J Clin Psychiatry 1990; 51 (Suppl B): 18-27
  3. 3) Cohn CK et al. J Clin Psychiatry 1990; 51 (Suppl B): 28-33
  4. 4) Doogan DP, Langdon CJ. Int Clin Psychopharmacol 1994; 9: 95-100
  5. 5) Doogan DP, Caillard V. Br J Psychiatry 1992; 160: 217-22
  6. 6) Aguglia E et al. Int Clin Psychopharmacol 1993; 8: 197-202
  7. 7) Chouinard G et al. Psychopharmacol Bull 1990; 26: 279-84
  8. 8) Iruela LM. Lancet 1994; 343: 1106

Standpunkte und Meinungen

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Sertralin (14. Oktober 1994)
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pharma-kritik, 16/No. 19
PK471
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