Formestan

Synopsis

Formestan (Lentaron®) ist ein neuer Aromatasehemmer, der zur Behandlung des metastasierenden Mammakarzinoms empfohlen wird.

Chemie/Pharmakologie

Die Aromatase ist ein Enzym, welches für die Bildung von Östrogenen aus androgenen Vorstufen verantwortlich ist. Bei Frauen nach der Menopause (oder nach Ovarektomie) entstehen Östrogene durch Aromatase- Einwirkung in der Haut, in den Muskeln, in der Leber und im Fettgewebe aus Androstendion, das in der Nebennierenrinde gebildet wird. Formestan ist ein Androstendion-Derivat (4-Hydroxyandrostendion), das die Aromatase kompetitiv hemmt und so die Östrogensynthese blockiert.(1) Im Gegensatz zu Aminoglutethimid (Orimeten®) führt es nicht zu einer Hemmung der Kortikosteroidsynthese in der Nebennierenrinde. Bei Frauen nach der Menopause bewirkt Formestan eine Abnahme der Estradiol-Plasmaspiegel um 50 bis 70%.
Bei Frauen vor der Menopause werden die Östrogene hauptsächlich in den Ovarien gebildet. Formestan allein vermag die Biosynthese nicht wirksam zu hemmen; zusammen mit einem LH-RH-Agonisten wie Goserelin (Zoladex®) senkt es jedoch die Estradiolspiegel signifikant.
Im Tierversuch erreicht Formestan bei fast allen Tieren mit chemisch induziertem Mammakarzinom eine Tumorregression.

Pharmakokinetik

Nach oraler Einnahme wird Formestan rasch resorbiert. Das Medikament ist aber bisher vorwiegend intramuskulär verabreicht worden. Die intramuskuläre Injektion führt zur Bildung eines Depots, aus dem Formestan langsam ins Blut aufgenommen wird. Maximale Plasmaspiegel werden 1 bis 2 Tage nach Injektion erreicht. Formestan wird rasch hepatisch metabolisiert; einzelne Metaboliten hemmen die Aromatase ebenfalls, wenn auch in geringerem Mass als Formestan selbst. Die Metaboliten werden mit dem Urin ausgeschieden; nach oraler Gabe wurde eine Plasmahalbwertszeit von 2 bis 3 Stunden beobachtet. Nach intramuskulärer Injektion beträgt die scheinbare Plasmahalbwertszeit initial 2 bis 4 Tage, später bis zu 10 Tagen.(1)

Klinische Studien

Die bisher veröffentlichten Studien mit Formestan beziehen sich im wesentlichen auf etwa 1300 Frauen nach der Menopause, die an einem fortgeschrittenen Mammakarzinom mit Metastasen litten. Meistens waren diese Frauen zuvor mit anderen hormonalen Therapien behandelt worden und sprachen nicht mehr auf diese an. Fast alle Studien waren unkontrolliert oder lediglich Vergleiche zwischen verschiedenen Formestan-Dosen.
Die Reaktion auf die Therapie wurde allgemein nach den Kriterien der «Union Internationale Contre le Cancer» beurteilt. Von einem Ansprechen auf die Therapie wird dabei gesprochen, wenn sich die Tumordimensionen für mindestens 30 Tage um wenigstens 50% reduzieren und keine Tumorprogression an anderen Orten erfolgt (sogen. «partial response»). Eine «complete response» entspricht dem vollständigen Verschwinden von nachweisbaren Tumoren für mindestens 30 Tage.
Formestan zeigte sich ähnlich wirksam wie andere hormonale Therapien: So erreichte das Medikament zum Beispiel in einer deutschen Studie bei 23% von 91 Patientinnen eine vollständige oder teilweise Remission. Bei weiteren 29% wurde eine vorübergehende Stabilisierung der Krankheit festgestellt. In dieser Studie erhielten die Patientinnen zuerst drei Dosen zu 500 mg Formestan intramuskulär (im Abstand von je zwei Wochen), nachher jede zweite Woche 250 mg. Die besten Resultate wurden bei Patientinnen beobachtet, die zuvor auf Tamoxifen (Nolvadex® u.a.) angesprochen hatten.(2)
In anderen Studien wurde immer alle zwei Wochen entweder 250 oder 500 mg Formestan injiziert. Es fanden sich praktisch keine signifikanten Unterschiede zwischen der niedrigeren und der höheren Dosis.(3, 4) Die Ansprechrate war in verschiedenen Studien sehr unterschiedlich, ungefähr zwischen 10 und 50%.(1) Generell reagierten Frauen besser auf Formestan, wenn sie schon vorher gut auf hormonale Therapie angesprochen hatten. Weichteilmetastasen scheinen sich mit Formestan besser beeinflussen zu lassen als Knochen- oder viszerale Metastasen. Die Dauer der Remission unter Formestan ist ebenfalls sehr variabel und beträgt einige wenige Monate bis über ein Jahr. Ein direkter Zusammenhang mit dem Ausmass der Senkung der Östrogenspiegel im Blut konnte nicht nachgewiesen werden.(1)
In zwei der bisher veröffentlichten Studien wurde Formestan als erste hormonale Therapie bei Patientinnen mit metastasierendem Mammakarzinom eingesetzt.(5, 6) Von besonderem Interesse ist ein Vergleich mit Tamoxifen: Von 409 Frauen, die in diese randomisierte Studie aufgenommen wurden, konnten die Resultate bei 348 beurteilt werden. Die Behandlung mit Formestan (250 mg i.m. alle zwei Wochen) führte bei 33% zu einer vollständigen oder partiellen Remission, die Behandlung mit Tamoxifen (30 mg täglich per os) ergab ein entsprechendes Resultat bei 37%. Die Remission unter Formestan dauerte durchschnittlich 15 Monate, unter Tamoxifen 20 Monate. Tamoxifen vermochte eine erneute Progression der Krebskrankheit signifikant besser zu verzögern als Formestan.(6)
Mit Aminoglutethimid oder Gestagenen ist Formestan nicht in randomisierten Studien direkt verglichen worden; indirekte Vergleiche lassen annehmen, dass diese hormonalen Therapien eine ähnliche Wirksamkeit aufweisen.
Über die Anwendung von Formestan bei Frauen vor der Menopause weiss man wenig. In einer kleinen Studie wurde bei fünf prämenopausalen Patientinnen unter Formestan allein keine Besserung erreicht, wohl aber bei vier von sechs Frauen, die das Medikament in Kombination mit Goserelin erhielten.(7)

Unerwüschte Wirkungen

Lokale Reaktionen auf die intramuskuläre Injektion (Juckreiz, Schmerzen, Knotenbildung, gelegentlich sterile Abszesse, lokale Entzündungen) lassen sich bei 10 bis 15% der behandelten Frauen beobachten.(1) Eine 250-mg-Dosis scheint weniger lokale Probleme zu verursachen als die höhere Dosis. Ebenfalls etwa 12% der Patientinnen haben systemische Nebenwirkungen. Einige davon (z.B. Hitzewallungen) können als Folge der Östrogensuppression verstanden werden. Schläfrigkeit, Exantheme, Brechreiz, Gesichtsödem und Krämpfe sind weitere Symptome, die gelegentlich beobachtet werden. Einige Minuten nach der Injektion sind bei etwa 2% der Behandelten anaphylaktoide Reaktionen aufgetreten. Rund 5% der Patientinnen brechen die Behandlung wegen Nebenwirkungen ab.(1) Bisher gibt es keine Hinweise auf eine klinisch bedeutsame Beeinflussung der Nebennierenrinden-Funktion. Im (indirekten) Vergleich mit dem weniger spezifischen Aromatasehemmer Aminoglutethimid, der häufig Müdigkeit, Hautreaktionen und Brechreiz verursacht, erscheint Formestan deutlich besser verträglich.(1)

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Formestan (Lentaron® i.m. Depot) ist in Form von lyophilisierter Trockensubstanz (1 Vial zu 250 mg Formestan + Hilfsstoffe) erhältlich. Die Substanz soll kurz vor der Injektion in 2 ml physiologischer Kochsalzlösung aufgelöst werden. Es wird empfohlen, alle zwei Wochen 250 mg langsam intramuskulär zu injizieren (Vorsicht: Injektion in das Fettgewebe oder in Blutgefässe vermeiden!). Das Präparat soll nur bei Frauen nach der Menopause angewandt werden. Da entsprechende Erfahrungen fehlen, soll es auch bei fortgeschrittenen Leber- oder Nierenerkrankungen vermieden werden. Eine Behandlung mit Formestan (zwei Injektionen monatlich) kostet CHF 405.60 pro Monat. Zum Vergleich: die Behandlung mit maximalen Dosen von Aminoglutethimid/Hydrocortison kostet 230 Franken monatlich.

Kommentar

Formestan kann als mögliche Alternative für die Hormontherapie des metastasierenden Mammakarzinoms bezeichnet werden, wenn die erste Wahl (in der Regel Tamoxifen) versagt hat. Das neue Medikament ist wahrscheinlich besser verträglich, aber auch teurer als die bisher vorhandenen Alternativen. Sein genauer Stellenwert bleibt so lange unbestimmt, als noch keine randomisierten Vergleiche mit Aminoglutethimid oder mit einem Gestagen vorliegen. Dabei müsste auch die Lebensqualität unter der einen und der anderen Behandlung evaluiert werden. Die bisher einzige Vergleichstudie mit Tamoxifen spricht nicht für eine Überlegenheit von Formestan bei der primären Hormontherapie des metastasierenden Mammakarzinoms.

Literatur

  1. 1) Wiseman LR, McTavish D. Drugs 1993; 45: 66-84
  2. 2) Possinger K et al. Ann Oncol 1994: 5 (Suppl 7): S7-10
  3. 3) Zilembo N et al. Tumori 1994; 80: 433-7
  4. 4) Bajetta E et al. Br J Cancer 1994; 70: 145-50
  5. 5) Zilembo N et al. J Cancer Res Clin Oncol 1995; 121: 378-82
  6. 6) Perez-Carrion R et al. Ann Oncol 1994; 5 (Suppl 7): S19-24
  7. 7) Stein RC et al. Br J Cancer 1990; 62: 679-83

Standpunkte und Meinungen

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Formestan (8. Dezember 1995)
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