Folsäure

Übersicht

Die Folsäure gehört zur Gruppe der wasserlöslichen B-Vitamine und ist aufgrund ihrer Rolle im Intermediärstoffwechsel von grosser Bedeutung. Gut bekannt ist besonders die Tatsache, dass Folsäure-Mangel zu einer megaloblastären Anämie führen kann. Heute gilt auch als nachgewiesen, dass die regelmässige Einnahme von Folsäure vor und während einer Schwangerschaft zur Verhinderung von Neuralrohrdefekten beiträgt. Schliesslich spielt die Folsäure möglicherweise auch in der Prävention und Therapie von arteriosklerotischen Gefässerkrankungen sowie von psychischen Erkrankungen eine Rolle.

Physiologie/Biochemie

Die Folsäure (=Pteroyl-Glutaminsäure) ist in tierischen und pflanzlichen Geweben, z.B. in Blattgemüsen, Pilzen, Hefe und Leber enthalten. Sie ist thermisch instabil und kann beim Kochen bis zu 90% zerstört werden. In unseren Breitengraden werden mit der Nahrung täglich im Durchschnitt 275 mg aufgenommen.
In der Nahrung liegt rund die Hälfte der Folsäure als Polymer (Polyglutamate) vor. Voraussetzung für die Aufnahme der Polyglutamate in den Körper ist die Spaltung durch Enzyme der Dünndarmmukosa. Gesamthaft werden rund 60% der mit der Nahrung aufgenommenen Folsäure resorbiert. Nach der Resorption wird sie unter Beteiligung von Vitamin C zur physiologisch aktiven Tetrahydrofolsäure reduziert und in der Leber zur aktiven Form methyliert. Die Folsäure wird hauptsächlich in dieser Form an Plasmaproteine gebunden transportiert.
Folsäure-Plasmaspiegel zwischen 7 und 36 nmol/l gelten als normal. Zuverlässigere Resultate ergibt die Messung der Folsäure-Konzentrationen in den Erythrozyten, wo die Konzentration weniger von der unmittelbaren Aufnahme aus der Nahrung abhängig ist (Norm: 320 bis 1300 nmol/l). Das Vitamin gelangt durch einen aktiven Transport durch die Blut-Hirn-Schranke und erreicht in methyliertem Zustand das Zentralnervensystem. Die Konzentration der Folsäure in der Zerebrospinalflüssigkeit liegt deshalb dreimal höher als im Plasma. Die Ausscheidung erfolgt etwa zu gleichen Teilen im Urin und im Stuhl.(1)
In reduzierter Form hat die Folsäure als Koenzym eine wichtige Funktion bei der Übertragung von Monokohlenstoff-Fragmenten. Diese werden an verschiedenen Stellen des methylierten Vitamins angehängt und bilden mehrere Abkömmlinge davon, die je nach Struktur für viele Stoffwechselschritte von Bedeutung sind:
Im Proteinstoffwechsel und bei der Synthese von Purin- und Pyrimidinkörpern als Bestandteile der DNS wirkt Folsäure als Methyl- und Formylgruppendonator. Mangelerscheinungen betreffen deshalb in erster Linie Gewebe und Zellen mit hoher Teilungsrate, insbesondere das blutbildende System. Da die DNS-Synthese beeinträchtigt ist, teilen sich die hämatopoetischen Zellen langsamer, als es der Vermehrung des Zytoplasmas entsprechen würde – es kommt zur ineffektiven Hämatopoese und zur megaloblastären Anämie. (Da die Bedeutung der Folsäure in der Therapie dieser Krankheit hinlänglich bekannt ist, wird im Rahmen dieses Artikels nicht weiter darauf eingegangen.)
Im Methioninstoffwechsel ist zur Methylierung von Homozystein zu Methionin nebst einer enzymatisch aktiven Methioninsynthetase und den Vitaminen B6 und B12 genügend Folsäure als Kofaktor notwendig. Die Folsäure hat ausserdem Funktionen im Serin- und Histidinstoffwechsel.
Im Zentralnervensystem wird die Methylgruppe auf S-Adenosyl-L-methionin, dem einzigen Methylgruppendonator für Proteine, Membranphospholipide, Neurotransmitter und Nukleinsäuren, übertragen. Folsäure beeinflusst ausserdem die Synthese von Serotonin und Dopamin im Gehirn durch Beeinflussung eines Kofaktors der Monoaminbildung.

Anwendung der Folsäure zur Verhinderung von Neuralrohrdefekten

Unter dem Begriff «Neuralrohrdefekte» (NRD) werden Missbildungen des Gehirns und des Rückenmarks verstanden, die zu verschiedenen Zeitabschnitten der Embryogenese entstehen können. Die häufigsten Formen von NRD sind die Anenzephalie und Meningomyelozelen. Entsteht der NRD während der Neurulation, d.h. zwischen dem 17. und 30. Tag nach der Konzeption, so ist das Nervengewebe im Bereich der Missbildung später nicht von Haut bedeckt. Im Gegensatz dazu sind die (seltenen) NRD, die nach der Neurulation entstehen, von Haut bedeckt.(2) Neuralrohrdefekte führen oft zu schweren, progredienten Lähmungen und lebenslänglicher Stuhl- und Urininkontinenz.
Die NRD-Inzidenz ist in verschiedenen Populationen unterschiedlich hoch und kann bis zu 5‰ erreichen. In der Schweiz, wo kein Fehlbildungsregister existiert, wird die Inzidenz auf etwa 1‰ geschätzt. (3)Hat eine Frau aber bereits ein Kind mit NRD gehabt, so ist das NRD-Risiko bei einer weiteren Schwangerschaft wesentlich höher (3 bis 5%).
Die Ätiologie der Neuralrohrdefekte – das Offenbleiben bzw. die Wiederöffnung des Neuralrohrs – ist multifaktoriell. Wahrscheinlich spielen unter anderem genetische Faktoren sowie der sozio-ökonomische Status der Mutter eine Rolle. Bereits vor rund 30 Jahren wurde beobachtet, dass der Folsäureantagonist Aminopterin eine teratogene Wirkung aufweist und bei Tieren NRD verursachen kann. 1965 wurden Zusammenhänge zwischen dem Folsäurestoffwechsel und Missbildungen publiziert.(4)
Neuere Untersuchungen zur Pathogenese der NRD weisen darauf hin, dass eine Aktivitätsstörung der Methioninsynthetase einer der verantwortlichen Faktoren sein könnte. Dieses Enzym benötigt zur Umwandlung von Homozystein zu Methionin eine von der Folsäure übertragene Methylgruppe. Eine Aktivitätsminderung, sei es wegen eines enzymatischen Defekts oder aufgrund eines Folsäuremangels, führt zu einem Anstieg des Homozysteinspiegels, was den Verschluss der Neuralrinne erschwert. Mit zusätzlicher Gabe von Folsäure und auch Vitamin B12 als Kofaktoren kann dieser partielle enzymatische Block überwunden werden.(5)
Durch Folsäure nicht beeinflusst werden diejenigen Formen von Neuralrohrdefekten, die auf der Öffnung einer primär geschlossenen Neuralrinne beruhen.
Aus mehreren Studien geht hervor, dass durch eine erhöhte Zufuhr von Folsäure sowohl das Wiederholungsrisiko als auch das Risiko eines erstmaligen NRD gesenkt werden kann. Die Tatsache, dass es in den Studienpopulationen trotz erhöhter Folsäurezufuhr weiterhin zu Neuralrohrdefekten gekommen ist, weist jedoch darauf hin, dass noch weitere Faktoren an der Entstehung dieser Missbildungen beteiligt sein müssen.

Folsäure zur Sekundärprophylaxe nach Auftreten eines Neuralrohrdefekts
454 Frauen, die bereits mit einem Kind mit NRD schwanger gewesen waren, nahmen an einer multizentrischen Kohortenstudie teil. Sie nahmen mindestens 28 Tage vor der Konzeption bis zum Ende des zweiten Schwangerschaftsmonates täglich ein Multivitaminpräparat ein, das 0,36 mg Folsäure enthielt. 519 Frauen, die ebenfalls bereits ein Kind mit NRD geboren hatten, aber bei Aufnahme in die Studie bereits schwanger waren, dienten als Kontrollgruppe. Diese Frauen nahmen keinerlei Vitaminpräparate ein. Frauen, die das Vitaminpräparat einnahmen, hatten in 0,7% Kinder mit Neuralrohrdefekten; in der Kontrollgruppe lag dieser Wert bei 4,7%. Die Inzidenz eines weiteren Neuralrohrdefekts konnte somit um rund 85% reduziert werden.(6)
Bei 1817 Frauen, die ebenfalls bereits ein Kind mit NRD gehabt hatten, wurde eine multizentrische Doppelblindstudie durchgeführt. Die Frauen erhielten ungefähr von der Konzeption bis zur 12. Schwangerschaftswoche ein Vitaminpräparat oder Placebo. Die Gruppe A erhielt nur Folsäure (4 mg pro Tag): in dieser Gruppe traten in 0,7% der Schwangerschgaften NRD auf. Die Gruppe B erhielt ein Multivitaminpräparat (A, D, B1, B2, B6, C, Nicotinamid) plus Folsäure: in dieser Gruppe betrug die NRD-Inzidenz 1,4%. Die Gruppe C war die Placebogruppe: hier ergab sich eine NRD-Inzidenz von 4,3%. Eine vierte Gruppe D erhielt nur das Multivitaminpräparat und hatte in 2,7% der Schwangerschaften Kinder mit NRD. Die Frauen erhielten keine speziellen Ernährungsanweisungen. Es konnten insgesamt 1195 Schwangerschaften hinsichtlich NRD beurteilt werden.
Diese Resultate lassen schliessen, dass die tägliche Verabreichung von 4 mg Folsäure durchschnittlich zu einer Risikoverminderung von 72% führt. Eine signifikante präventive Wirkung anderer Vitamine kann aus dieser Studie nicht abgeleitet werden.(7)

Folsäure zur Primärprävention von Neuralrohrdefekten
In einer Studie wurden 23'491 schwangere Frauen nach Vitaminpräparaten befragt, die sie im Zeitraum von drei Monaten vor Eintritt der Schwangerschaft bis nach den ersten drei Schwangerschaftsmonaten eingenommen hatten. Um die Aufnahme von Folsäure aus der Nahrung abschätzen zu können, wurde ausserdem die Ernährungsweise der Frauen exploriert. Diese Frauen wurden ungefähr in der 16. Schwangerschaftswoche kontaktiert, als eine Amniozentese oder eine Bestimmung des a-Fetoproteins durchgeführt wurde. Zum Zeitpunkt der Befragung kannten lediglich 7% der Frauen die Resultate der vorangegangenen Untersuchung. Frauen, die gar nie oder lediglich vor Eintritt der Schwangerschaft Vitamine eingenommen hatten, hatten in 3,5‰ Kinder mit NRD. Frauen, die eine Einnahme von folsäurehaltigen Vitaminpräparaten in den ersten sechs Schwangerschaftswochen angaben, hatten dagegen nur in 0,9‰ Kinder mit NRD. Die Einnahme von folsäurehaltigen Präparaten nach der 6. Schwangerschaftswoche ergab keine signifikante Reduktion der NRD-Prävalenz.(8)
Der Einfluss eines Multivitaminpräparates auf die NRD-Häufigkeit wurde in einer randomisierten Studie bei 4753 Frauen untersucht, die schwanger werden wollten und keine Anamnese von NRD hatten. 2420 Frauen nahmen täglich 0,8 mg Folsäure zu sich, die in einem Multivitaminpräparat mit Spurenelementen (Elevit® Pronatal) enthalten war. 2333 Frauen nahmen ein Präparat, das praktisch nur Spurenelemente enthielt. 4156 Schwangerschaften konnten beurteilt werden: In der Gruppe, die das Vitaminpräparat einnahm (n=2104), wurden 28 Kinder mit verschiedenen Missbildungen geboren, es traten jedoch keine Neuralrohrdefekte auf. In der Gruppe ohne zusätzliche Vitaminzufuhr (n=2052) wurden 47 Kinder mit Missbildungen geboren, darunter 6 Kinder mit Neuralrohrdefekten. Das Vitaminpräparat ergab also eine signifikante Reduktion der Zahl von NRD und von verschiedenen anderen Missbildungen.
(9)
Auch in zwei Fall-Kontroll-Studien wurden in den Gruppen, die ein folsäurehaltiges Multivitaminpräparat einnahmen, relative Risiken von 40% bzw. 30% gegenüber den Gruppen ohne zusätzliche Vitaminzufuhr gefunden.
(10,11)
Einzig in einer Fall-Kontroll-Studie mit 571 Frauen findet man keinen Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Vitaminen und Folsäure und dem Auftreten von NRD. In dieser Studie unterschied sich die perikonzeptionelle Vitaminzufuhr von Müttern, die ein Kind mit NRD hatten, nicht signifikant von der Vitaminzufuhr von Müttern zweier verschiedener Kontrollgruppen.
(12) Die Gründe für dieses Resultat, das im Gegensatz zu den übrigen Studien steht, sind nicht ganz klar. Ein möglicher Grund kann sein, dass die Untersuchung in Gebieten (Kalifornien, Illinois) durchgeführt wurde, in denen die Inzidenz mit 0,9‰ bereits so niedrig ist, dass nur mit einem sehr grossen Studienkollektiv Unterschiede des relativen Risikos verschiedener Gruppen ersichtlich würden. Daneben mögen Selektionsgründe eine Rolle spielen.(7,11)

Unerwünschte Wirkungen von Folsäure

Unerwünschte Wirkungen sind unter Dosen bis zu 10 mg Folsäure pro Tag kaum beobachtet worden. Bei Einnahme von 15 mg sind Schlafstörungen, Erregung, Hyperaktivität, Übelkeit, Blähungen, eine gestörte Geschmacksempfindung und allergische Reaktionen wie Erytheme, Pruritus und Urtikaria beobachtet worden. Die Zufuhr von mehr als 1 mg Folsäure täglich kann die Diagnose eines Vitamin-B12-Mangels erschweren, indem die hämatologischen Parameter der megaloblastären Anämie verbessert werden, der neurologische Verlauf jedoch nicht beeinflusst wird.
Folsäure induziert einen vermehrten hepatischen Metabolismus einzelner Antiepileptika (Barbiturate, Phenytoin); gelegentlich sind deshalb höhere Dosen dieser Medikamente nötig. Antiepileptika hemmen anderseits die Aufnahme von Folsäure.

Welche Dosis für welche Frauen?
In den verschiedenen Studien wurden sehr unterschiedliche Folsäuredosen eingesetzt, nämlich zwischen 0,1 mg/Tag zur Verhinderung des erstmaligen Auftretens von NRD(7) und 4 mg/Tag bei Frauen, die bereits ein Kind mit NRD hatten.(5) In mehreren Studien wurden 0,4 mg Folsäure täglich verabreicht. Dies entspricht der Menge, die in vielen rezeptfreien Multivitaminpräparaten in den USA enthalten ist.
In der Schweiz sind von der Eidgenössischen Ernährungskommission Empfehlungen formuliert worden, die in Tabelle 1 zusammengefasst sind.(13,14) Ergänzend ist anzumerken, dass die Empfehlungen für die Sekundärprophylaxe auch für Frauen gelten, deren nähere Verwandte Kinder mit NRD gehabt haben und selbstverständlich auch für Frauen, bei denen wegen NRD ein Schwangerschaftsabbruch ausgeführt worden ist.
Frauen, die ohne Prophylaxe schwanger werden, sollten sogleich Folsäure in den empfohlenen Dosen erhalten, wenn dies noch innerhalb von vier Wochen nach der Konzeption möglich ist.
Die Einnahme von oralen Kontrazeptiva verschlechtert den Folsäurestatus, da die Hydrolasen in der Dünndarmmukosa gehemmt werden und somit die Folsäureaufnahme absinkt. Falls eine Schwangerschaft kurz nach Absetzen der Präparate geplant ist, muss noch eindringlicher auf eine ausreichende Folsäurezufuhr hingewiesen werden. Auch Frauen, die Antiepileptika einnehmen, weisen ein höheres Risiko eines Folsäuremangels auf.
Leider lassen sich die in Tabelle 1 genannten Empfehlungen nicht leicht in die Praxis umsetzen. Ein Folsäure-Monopräparat zu 0,4 mg/Dosis steht nicht zur Verfügung. Eine halbe Tablette Folvite® (0,5 mg) kostet rund 33 Rappen und ist deshalb für eine Primärprophylaxe unverhältnismässig teuer. Viele Multivitaminpräparate kosten ebensoviel oder noch mehr; am kostengünstigsten sind M CombiVIT® und Vitamin 15 Solco®: zwei Tabletten dieser Präparate (mit total 0,4 mg Folsäure) kosten rund 20 Rappen.
Die für die Sekundärprophylaxe geeigneten Präparate Acidum folicum Streuli und Foli-Rivo® kosten nur 10 bis 12 Rappen pro Dosis (5 mg) und stellen deshalb für Frauen mit erhöhtem NRD-Risiko die erste Wahl dar. Diese Tabletten lassen sich aber nicht teilen, weshalb die Dosis nicht, wie empfohlen, nach einigen Monaten auf die Hälfte reduziert werden kann. Der Nutzen eines Multivitaminpräparates mit wesentlich niedrigerer Folsäuredosis (0,4 bis 1 mg/Tag) ist dagegen in der Sekundärprophylaxe weniger gut dokumentiert.
Das Postulat, dass alle Frauen ohne zuverlässige Kontrazeption täglich ein «Medikament» einnehmen sollen, um Neuralrohrdefekte zu verhüten, scheint einer Medikalisierung ungebührend Vorschub zu leisten. Die vorliegenden Empfehlungen lassen sich unter anderem mit der Tatsache begründen, dass Familien durch ein Kind mit einem Neuralrohrdefekt sehr stark belastet werden. Anderseits ist zu bedenken, dass sich ein Teil der NRD von der Folsäure nicht beeinflussen lässt und deshalb auch bei «idealer» Folsäureverabreichung auftreten wird. Es ist denkbar, dass sich deshalb in Ländern mit niedrigem NRD-Risiko (also z.B. in der Schweiz) keine spektakuläre Senkung der NRD-Rate erreichen lässt. Eine möglichst vollständige Erfassung der Fehlbildungsfälle – ein Fehlbildungsregister – wäre deshalb auch in der Schweiz von grossem Nutzen.
Zur Zeit ist jede Frau selbst dafür verantwortlich, dass sie eine Primärprophylaxe durchführt, indem sie sich genügend Folsäure zuführt. Viele Fachleute sind jedoch der Meinung, eine erhöhte Versorgung der gesamten Bevölkerung durch folsäureangereichertes Brotmehl wäre einfacher, zuverlässiger und auch billiger.

Folsäure bei Herz-/Kreislauferkrankungen

Die Folsäure hat, wie oben erwähnt, eine wichtige Funktion als Kofaktor in der Umwandlung von Homozystein zu Methionin. Tatsächlich ist ein Zusammenhang zwischen erhöhten Homozysteinspiegeln und erhöhtem Risiko von kardiovaskulären Erkrankungen bekannt.15-17 Es ist sehr wahrscheinlich, dass ein erhöhter Homozysteinspiegel ein eigenständiger Risikofaktor für arteriosklerotische Erkrankungen der koronaren, der zerebralen und der peripheren Arterien darstellt.(18)
Homozystein induziert einerseits eine Proliferation der glatten Muskulatur der Gefässe und wirkt direkt atherogen auf das Endothel. Es wirkt andererseits aber auch über humorale Mechanismen thrombogen. Die Ätiologie der erhöhten Homozysteinspiegel ist nicht vollständig geklärt. Wahrscheinlich spielt auch hier die partielle Inaktivität eines Enzyms oder mehrerer Enzyme im Methioninstoffwechsel die Schlüsselrolle. Man diskutiert zum Beispiel einen heterozygot vererbten Defekt der Cystathion-Synthetase oder eine thermolabile Variante desselben Enzyms. Es ist aber auch möglich, dass ein tatsächlicher Folsäuremangel vorliegt.
In einer retrospektiven Kohortenstudie bei rund 5000 Kanadierinnen und Kanadiern wurde untersucht, ob ein Zusammenhang zwischen den 1970/72 gemessenen Folsäure-Plasmaspiegeln und den koronaren Todesfällen bis 1985 feststellbar sei. Personen, die zur Gruppe mit den niedrigsten Spiegeln (unter 6,8 nmol/l) gehörten, hatten ein rund 70% höheres Risiko für einen tödlichen Herzinfarkt als diejenigen der Gruppe mit den höchsten Plasmaspiegeln (über 13,6 nmol/l).
(19)
Ein Zusammenhang zwischen niedrigen Folsäure-Werten bzw. erhöhtem Homozystein und Gefässerkrankungen erscheint damit wahrscheinlich. Sowohl im Falle eines enzymatischen Defekts als auch bei einem Folsäuremangel sollte mit einem vermehrten Angebot an Folsäure der Homozysteinspiegel gesenkt und somit das kardiovaskuläre Risiko vermindert werden können. Entsprechende Doppelblindstudien fehlen aber vorläufig noch. Aufgrund der fehlenden therapeutischen Evidenz ist die routinemässige Bestimmung von Folsäure- und Homozysteinspiegeln in der Evaluation des Risikoprofils für Herz- und Kreislauferkrankungen nicht indiziert.

Folsäure bei psychischen Störungen

Es ist bekannt, dass 15 bis 33% der Patienten, die wegen psychischen Problemen hospitalisiert sind, einen erniedrigten Plasma- und Erythrozytenfolatspiegel haben. Dieser Folsäuremangel ist in der Regel jedoch nicht so ausgeprägt, dass klinische Zeichen einer megaloblastären Anämie auftreten. Besonders häufig kann ein Folsäuremangel bei depressiven Personen sowie bei Alkoholkranken beobachtet werden.(20) Die Ergebnisse der verschiedenen Untersuchungen sind allerdings kaum vergleichbar, denn die Grenzwerte für die Folsäurewerte sind sehr uneinheitlich festgelegt worden.
Die Ursache für einen Folsäuremangel bei den untersuchten psychiatrischen Patienten ist nicht geklärt. Bei Alkoholikern oder z.T. auch bei älteren Leuten ist eine folsäurearme Ernährung denkbar. Als sicher gilt, dass verschiedene Antiepileptika zu einem Folsäuremangel führen können, was erniedrigte Folsäurespiegel zumindest bei Epileptikern erklären würde.
In einer Doppelblindstudie erhielten 13 depressive und 9 schizophrene Patienten täglich 15 mg Methylfolat (in der Schweiz nicht als Präparat erhältlich) zusätzlich zur übrigen Therapie. 11 depressive und 8 schizophrene Patienten bildeten die Placebogruppe. Nach 6 Monaten wiesen die Patienten, die Methylfolat einnahmen, in den üblichen psychiatrischen Verlaufsskalen signifikant bessere Resultate auf als diejenigen der Placebogruppe.(21)
Wie oben dargestellt wurde, hat die Folsäure eine wichtige Funktion im Stoffwechsel des Gehirns. Es ist noch nicht bekannt, ob eine mögliche Wirkung bei psychischen Krankheiten nur darauf beruht, ein messbares Folsäuredefizit auszugleichen. Möglicherweise kann die Folsäure auch im Zentralnervensystem die partielle Inaktivität verschiedener Enzyme kompensieren.
Grössere prospektive Untersuchungen zur Wirksamkeit der Folsäure bei psychischen Erkrankungen fehlen noch. Die Bestimmung des Folsäurespiegels ist somit nur bei Patienten indiziert, die Symptome eines Folsäuremangels aufweisen, die Antiepileptika einnehmen oder einen Alkoholabusus betreiben.

Literatur

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  2. 2) Lemire RJ. JAMA 1988; 259: 558-62
  3. 3) Gutzwiller F et al. Schweiz Ärztez 1985; 66: 274-83
  4. 4) Hibbard ED, Smithells RW. Lancet 1965; 1:1254
  5. 5) Mills JL et al. Lancet 1995; 345: 149-51
  6. 6) Smithells RW et al. Lancet 1983: 1027-31
  7. 7) MRC Vitamin Study Research Group. Lancet 1991; 338: 131-7
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  9. 9) Czeisel AE, Dudás I. N Engl J Med 1992; 327: 1832-35
  10. 10) Mulinare J et al. JAMA 1988; 260: 3141-45
  11. 11) Werler MM et al. JAMA 1993; 269: 1257-61
  12. 12) Mills JL et al. N Engl J Med 1989; 321: 430-5
  13. 13) Tönz O et al. Schweiz Med Wochenschr 1996; 126: 177-87
  14. 14) Tönz O, Lüthy J. Schweiz Ärztez 1996; 77: 569-72
  15. 15) Stampfer MJ et al. JAMA 1992; 268: 877-81
  16. 16) Nygård O et al. JAMA 1995; 274: 1526-33
  17. 17) Selhub J et al. N Engl J Med 1995; 332: 286-91
  18. 18) Boushey CJ et al. JAMA 1995; 274: 1049-57
  19. 19) Morrison HI et al. JAMA 1996; 275: 1893-6
  20. 20) Crellin R et al. Drugs 1993; 45: 623-36
  21. 21) Godfrey PSA et al. Lancet 1990; 336: 392-5

Standpunkte und Meinungen

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