Nefazodon

Synopsis

Nefazodon (Nefadar®) wird zur Behandlung von Depressionen empfohlen.

Chemie/Pharmakologie

Nefazodon ist ein Phenylpiperazin-Derivat, das strukturell und zum Teil auch in seiner Wirkungsweise dem schon länger bekannten Antidepressivum Trazodon (Trittico®) gleicht. Nefazodon hat eine doppelte Wirkung auf die serotoninerge Neurotransmission: es hemmt bestimmte postsynaptische Serotonin-Rezeptoren (die 5-HT2A-Rezeptoren), blockiert anderseits in geringem Ausmass die präsynaptische Wiederaufnahme von Serotonin. Aktive Metaboliten (siehe unten) haben ebenfalls vorwiegend eine Hemmwirkung an 5-HT2A-Rezeptoren. Nefazodon hat keine signifikante Affinität zu a- und b-adrenergen, histaminergen, dopaminergen und cholinergen Rezeptoren.(1) Der genaue Mechanismus der antidepressiven Wirkung ist nicht geklärt, dürfte jedoch wahrscheinlich auf der Interaktion mit den serotoninergen Mechanismen beruhen.

Pharmakokinetik

Nefazodon wird gastrointestinal vollständig und rasch resorbiert. Maximale Plasmaspiegel werden innerhalb von 2 Stunden erreicht. Wegen eines ausgeprägten präsystemischen Metabolimus beträgt die Bioverfügbarkeit lediglich etwa 20%. Wird das Medikament zusammen mit einer Mahlzeit eingenommen, so kann die systemische Verfügbarkeit um bis zu 18% zunehmen. Nefazodon wird in der Leber durch das Zytochrom CYP3A4 metabolisiert; die Substanz ist auch ein starker Hemmer dieses Zytochroms. Von den 3 aktiven Metaboliten (Hydroxynefazodon, Meta-Chlorphenylpiperazin, Triazoldion) ist wahrscheinlich nur Hydroxynefazodon klinisch relevant, da es relativ hohe Spiegel erreicht und ähnlich aktiv wie Nefazodon selbst ist.(2) Nefazodon und Hydroxynefazodon haben eine nicht-lineare Kinetik: eine höhere Dosis führt zu überproportional höheren Plasmaspiegeln. Die Plasmahalbwertszeit von Nefazodon und Hydroxynefazodon beträgt initial 2 Stunden, nach wiederholter Verabreichung 3,5 Stunden. Bei Personen über 65 sowie bei solchen mit eingeschränkter Leberfunktion sind die Plasmaspiegel wesentlich höher als bei jungen Gesunden.(lit)

Klinische Studien

Nefazodon ist in mehreren kontrollierten Studien mit anderen Antidepressiva verglichen worden. Diese wurden meistens im ambulanten Bereich durchgeführt und dauerten 6 bis 8 Wochen. Zur Beurteilung der Depression und des Verlaufs dienten verschiedene Skalen wie die «Hamilton Rating Scale for Depression», die «Clinical Global Impressions» und andere.

In einer doppelblinden Dosisfindungsstudie erhielten 240 Personen mit einer Depression entweder Nefazodon oder Placebo. Zwei Dosisbereiche (50-300 bzw. 100-600 mg/Tag) wurden verglichen. Nach 6 Wochen hatten signifikant mehr Personen (58%) auf die höhere Nefazodondosis (Mittel: 392 mg/Tag) angesprochen als auf Placebo (39%). Die Ansprechraten unter niedriger Dosis unterschieden sich nicht von denjenigen unter Placebo.(3)

283 Personen mit einer mittelschweren oder schweren Depression wurden in einer multizentrischen Doppelblindstudie während 8 Wochen ambulant entweder mit Nefazodon, Imipramin (Tofranil®) oder Placebo behandelt. Die Nefazodon-Dosis lag zwischen 100 und 600 mg (im Mittel 396 mg/Tag), die Imipramin-Dosis zwischen 50 und 300 mg (im Mittel 191 mg/Tag). Die Wirksamkeit der beiden aktiven Behandlungen unterschied sich nicht signifikant. Unter Nefazodon hatten 78% der Teilnehmenden eine starke oder sehr starke Besserung auf der Hamilton-Skala, unter Imipramin waren es 83%, unter Placebo nur 55%.(4)

Mit Amitriptylin (Saroten® u.a., mittlere Tagesdosis 124 mg) wurde Nefazodon (mittlere Tagesdosis 242 mg) in einer Doppelblindstudie ohne Placebokontrolle verglichen. Die sechswöchige Studie umfasste 106 Personen mit mittelschwerer bis schwerer Depression. Amitriptylin war gemäss allen Skalen signifikant besser als Nefazodon antidepressiv wirksam.(5)

In einer multizentrischen Doppelblindstudie wurden 206 Personen, die ebenfalls an einer mittelschweren bis schweren Depression litten, ambulant entweder mit Nefazodon oder mit Paroxetin (Deroxat®) behandelt. Am Schluss der achtwöchigen Studie betrugen die durchschnittlichen Tagesdosen 472 mg Nefazodon und 33 mg Paroxetin. Beide Gruppen erfuhren gemäss den benutzten Skalen eine vergleichbare klinische Verbesserung der Depression. Auch andere Symptome - z.B. Angst, Schlafstörungen - wurden von beiden Medikamenten ähnlich günstig beeinflusst.(6)

Mit dem verwandten Trazodon ist Nefazodon offenbar nicht verglichen worden.

Die Erfahrungen in der Langzeitanwendung von Nefazodon sind sehr beschränkt. In einer Studie wurden Nefazodon, Imipramin und Placebo während eines Jahres miteinander verglichen; die beiden aktiven Arzneimittel waren ähnlich wirksam.(7)


Beeinflussung von Schlaf und Sexualfunktion

Bei 43 Personen mit einer mittelschweren bis schweren Depression wurde nebst der antidepressiven Wirksamkeit vor allem die Beeinflussung der Schlafarchitektur durch Nefazodon und Fluoxetin (z.B. Fluctine®) verglichen. Während 8 Wochen erhielten 22 Personen Nefazodon (max. Tagesdosis 500 mg) und 21 Personen Fluoxetin (max. Tagesdosis 40 mg). Nefazodon war ähnlich gut antidepressiv wirksam wie Fluoxetin. Unter Nefazodon war der Schlaf ruhiger, es kam seltener zum Aufwachen und die REM-Schlafphase wurde rascher erreicht und dauerte länger als unter Fluoxetin.(8)

160 Personen mit einer Depression wurden nach dem Zufall während 6 Wochen entweder mit Nefazodon (mittlere Tagesdosis: 456 mg) oder Sertralin (Gladem®, Zoloft®, mittlere Tagesdosis 148 mg) behandelt. Die beiden Medikamente waren ähnlich gut antidepressiv wirksam. Im Vergleich mit einer medikamentenfreien Zeit von einer bis vier Wochen Dauer beeinflusste Nefazodon die Sexualfunktionen und die Zufriedenheit weder bei Frauen noch bei Männern. Sertralin dagegen verminderte bei Frauen die Orgasmusfähigkeit, Männer berichteten über gehäufte Ejakulationsstörungen.(lit)

Unerwünschte Wirkungen

Unerwünschte Wirkungen von Nefazodon sind mindestens teilweise dosisabhängig. Unter klinisch wirksamen Dosen waren in einer repräsentativen Studie die folgenden Nebenwirkungen am häufigsten: Schläfrigkeit (über 30% der Behandelten), Brechreiz, Schwindel, Mundtrockenheit (zwischen 20 und 30%). Auch verschwommenes Sehen oder andere Sehstörungen traten bei mehr als 10% auf.(3) Mit zunehmender Behandlungsdauer nehmen die Nebenwirkungen oft ab. Gemäss einer von der Herstellerfirma zusammengestellten Übersicht verursacht Nefazodon weniger unerwünschte Wirkungen als Imipramin und etwa gleich viele wie Fluoxetin.(10)
Rund 12% der mit Nefazodon Behandelten brechen ihre Therapie wegen Nebenwirkungen ab (mit Fluoxetin sind es 10%, mit Imipramin 22%).

Verschiedene seltenere Nebenwirkungen - Haarausfall, Entzugserscheinungen, Hypoglykämie, auch sexuelle Störungen - sind beobachtet worden. Von besonderer Bedeutung sind Einzelfälle von fulminantem Leberversagen, welches nach einer Behandlung von Wochen bis Monaten auftreten kann.(11,12) Die Herstellerfirma rät, bei Verdacht auf eine Leberschädigung das Präparat sofort abzusetzen und die Leberenzyme zu bestimmen.


Interaktionen

Nefazodon ist ein potenter Hemmer des Zytochroms CYP3A4. Es kann klinisch bedeutsame Interaktionen verursachen: Mit Astemizol (Hismanal®) oder Cisaprid (Prepulsid®) kann es zu Herzrhythmusstörungen (Torsades de pointes!) führen, mit einzelnen Statinen zusammen eine Rhabdomyolyse begünstigen und es kann auch die Plasmaspiegel von Alprazolam (Xanax®), Triazolam (Halcion®) und von Tacrolimus (Prograf®) und wahrscheinlich noch von anderen Medikamenten massiv ansteigen lassen. Eine gleichzeitige Verabreichung mit diesen Medikamenten sollte deshalb vermieden werden.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Nefazodon (Nefadar®) ist als teilbare Tabletten zu 100 oder 200 mg erhältlich. Die Herstellerfirma empfiehlt, mit einer Dosis von 2mal 50 mg/Tag zu beginnen. Besonders bei älteren Leuten ist es wichtig, die Dosis nur vorsichtig zu steigern. Bei jüngeren Leuten liegen wirksame Dosen im Bereich von 300 bis 600 mg pro Tag. Schwangere und stillende Frauen sowie Kinder sollten kein Nefazodon nehmen, da die Verträglichkeit für diese Personengruppen nicht dokumentiert ist. Nefazodon ist kassenzulässig. Eine Behandlung kostet bei einer Dosis von 2mal 200 mg/Tag etwa 91 Franken im Monat. Trazodon (300 mg/Tag) kostet 61 Franken, Fluoxetin-Generika (20 mg/Tag) etwa 68 Franken und hochdosiertes Imipramin (200 mg/Tag) ebenfalls 68 Franken pro Monat.

Kommentar

Nefazodon hat zwar den Vorzug eines originellen dualen Wirkungsmechanismus. Das Medikament weist jedoch anderseits mehrere Handicaps auf, die seine Anwendung erschweren. Wohl infolge der nicht-linearen Kinetik ist der Dosisbereich, der im Einzelfall optimal ist, nicht leicht voraussehbar. Offensichtlich sind jedenfalls Dosen bis zu etwa 300 mg täglich bei jüngeren Leuten nicht signifikant wirksam. Anderseits ist anzunehmen, dass - bisher nicht dokumentiert - Ältere schon auf niedrige Dosen ansprechen. Problematisch ist sodann die Tatsache, dass Nefazodon ein Zytochrom hemmt, das für die Biotransformation zahlreicher Arzneimittel von Bedeutung ist. Neuerdings ist nun auch noch die Bedrohung durch eine vorher nicht erkannte Hepatotoxizität hinzugekommen. Zudem liegen bis anhin nur sehr wenige Daten zur Langzeitanwendung vor. Am ehesten lässt sich wohl die - sehr vorsichtige - Anwendung bei jüngeren Personen vertreten, die unter einem anderen Antidepressivum eine ausgeprägte sexuelle Dysfunktion entwickelt haben.

Literatur

  1. 1) Taylor DP et al. J Clin Psychiatry 1995; 56 (Suppl 6): 3-11
  2. 2) Davis R et al. Drugs 1997; 53: 608-36
  3. 3) Mendels J et al. J Clin Psychiatry 1995; 56 (Suppl 6): 30-6
  4. 4) Rickels K et al. Br J Psychiatry 1994; 164: 802-5
  5. 5) Ansseau M et al. Psychopharmacology 1994; 115: 254-60
  6. 6) Baldwin DS et al. J Clin Psychiatry 1996; 57 (Suppl 2): 46-52
  7. 7) Montgomery SA. J Clin Psychiatry 1996; 57 (Suppl 2): 24-30
  8. 8) Armitage R et al. J Clin Psychopharmacol 1997; 17: 161-8
  9. 9) Feiger A et al. J Clin Psychiatry 1996; 57 (Suppl 2): 53-62
  10. 10) Robinson DS et al. J Clin Psychiatry 1996; 57 (Suppl 2): 31-8
  11. 11) Aranda-Michel J et al. Ann Intern Med 1999; 130: 285-8
  12. 12) Anon. Aust Adv Drug React Bull 1998; 14: 14

Standpunkte und Meinungen

  • Es gibt zu diesem Artikel keine Leserkommentare.
Nefazodon (20. September 1999)
Copyright © 2024 Infomed-Verlags-AG
pharma-kritik, 21/No. 02
PK297
Untertitel Login

Gratisbuch bei einem Neuabo!

Abonnieren Sie jetzt die pharma-kritik und erhalten Sie das Buch «100 wichtige Medikamente» gratis. Im ersten Jahr kostet das Abo nur CHF 70.-.

pharma-kritik abonnieren
Aktueller pharma-kritik-Jahrgang

Kennen Sie "100 wichtige Medikamente" schon?

Schauen Sie ein Probekapitel unseres Medikamentenführers an. Die Medikamente in unserem Führer wurden sorgfältig ausgesucht und konzentrieren sich auf die geläufigsten Probleme in der Allgemeinmedizin. Die Beschränkung auf 100 Medikamente beruht auf der Überzeugung, dass sich rund 90% aller allgemeinmedizinischen Probleme mit 100 Medikamenten behandeln lassen.

Die Liste der 100 Medikamente sehen Sie auf der Startseite von 100 Medikamente.
Passwort beantragen infomed mailings

Nefazodon