Unteilbare Tabletten teilen?

Dürfen Atorvastatin-Tabletten (Sortis) geteilt werden oder nicht?
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ceterum censeo

Illegal ist es natürlich nicht, Tabletten zu teilen, die von den Herstellern nicht zum Teilen "vorbereitet" wurden. Ist es aber therapeutisch sinnvoll und welche anderen Freiheiten dürfen sich die Ärztinnen und Ärzte noch herausnehmen, wenn sie Medikamente verschreiben? Um diese Fragen entwickelte sich vor kurzem in unserem Redaktionsteam eine Diskussion, von der ich hier einige Aspekte wiedergeben möchte.

Es ist offensichtlich, dass eine Herstellerfirma kein grosses Interesse hat, z.B. eine 40-mg-Tablette mit einer Bruchrille zu versehen, wenn sie auch eine 20-mg-Tablette verkauft, die deutlich mehr als die Hälfte der höher dosierten Form kostet. Es ist anderseits auch klar, dass einzelne Tabletten oder Dragées bewusst so zubereitet sind, dass die Wirksubstanz vor der Magensäure geschützt wird, um eine optimale Resorption und Wirkung zu gewährleisten. Natürlich steht im Kompendium weder im einen noch im anderen Fall etwas vom Teilen. Dennoch haben wir z.B. zu Esomeprazol (Nexium®) empfohlen, die 40-mg-Tablette zu teilen. Konkret beruht diese Empfehlung auf der Überlegung, dass die Esomeprazol-Tabletten aus "Micropellets" bestehen, die beim Teilen wohl nur zum kleinsten Teil verletzt werden. Dazu kommt noch, dass Esomeprazol mg pro mg ungefähr gleich stark wirkt wie Omeprazol (Antramups®) und das letztere in der Regel in einer Dosis von 20 mg gegeben wird.

Wie steht es mit der "vorgeschriebenen" Dosierung? Die in dieser Ausgabe veröffentlichten Dosisempfehlungen zur Behandlung einer Streptokokken-Tonsillopharyngitis mit Penicillin oder Amoxicillin sind adäquat dokumentiert; im Kompendium werden aber höhere Dosen oder eine häufigere Verabreichung angegeben. Wie in unserem Text genauer ausgeführt, steht ja die antibiotische Behandlung einer Pharyngitis grundsätzlich zur Diskussion. Wieviele Tausend Personen jedes Jahr in diesem Zusammenhang unnötigerweise Antibiotika erhalten, lässt sich nur vermuten.

Ein anderes Beispiel: Es ist durchaus denkbar, dass man analgetische Hautpflaster wie z.B. das Buprenorphin-Pflaster (Transtec®) ohne nennenswerten Wirkungsverlust auch einen Tag länger als vorgesehen auf der Haut belassen kann. Die vorhandenen Daten zeigen in diesem Fall klar, dass die Plasmaspiegel nur langsam absinken, wenn das Pflaster nach 3 Tagen entfernt wird. Ist es falsch, die Möglichkeit eines selteneren (und damit sparsameren) Pflasterwechsels zu explorieren?
Aus meiner Sicht entbinden offizielle Angaben die behandelnden Ärztinnen und Ärzte keineswegs von der Verpflichtung, für jedes Individuum die beste - die am besten wirksame, am besten verträgliche und die kostengünstigste - Behandlung festzulegen. Selbstverständlich sollen wir uns dabei auf die vorhandenen Daten und Studien stützen. Zu Fragen, die in der klinischen Forschung nicht gestellt wurden, liegen jedoch auch keine Antworten vor.

Jede Verabreichung eines Medikamentes ist ein individuelles biologisches Experiment. Daran ändert auch die beste Evidenz nichts: diese beruht notwendigerweise auf Mittelwerten und Wahrscheinlichkeiten. So müssen wir uns in Erinnerung rufen, dass eine gegebene Dosis - z.B. 20 mg - im Einzelfall eigentlich immer zu klein oder zu gross ist, jedenfalls nicht "massgeschneidert". Dies impliziert jedoch, dass wir gut aufpassen und zuhören müssen: Aufpassen, wenn trotz vermeintlich richtiger Dosierung der Antihypertensiva der Blutdruck immer noch zu hoch ist. Zuhören, wenn uns Patientinnen und Patienten über unerwünschte Wirkungen klagen. Zuhören, wenn die Medien über ständig steigende Medikamentenkosten berichten.

Das Teilen "unteilbarer" Tabletten ist aber mühsam. Dies trifft zum Beispiel auch zu, wenn ich jemandem eine 2,5-mg-Dosis Amlodipin (Norvasc®) zu seiner bisherigen Blutdrucktherapie hinzufügen möchte. Auch in diesem Fall lassen sich die 5-mg-Tabletten nur schlecht teilen, niedriger dosierte Tabletten gibt es nicht. Es gibt kleine Geräte, Tablettenteiler, die das spielend schaffen und die auch andere Tabletten - andere Antihypertensiva, Lipidsenker usw. - ohne Mühe in zwei ungefähr gleich grosse Stücke teilen.

Anderseits: wer wollte denn Tabletten teilen? Es sind ja alle versichert und die Krankenkasse zahlt, kurz: wir können es uns leisten. Können wir es uns leisten? Nein. Gerade weil es einen therapeutischen Fortschritt gibt und wir möglichst viele davon profitieren lassen wollen, müssen wir überall dort sparen, wo es ohne nennenswerten Nachteil möglich ist. Die Bemühung, eine "unteilbare" Tablette zu teilen, ist zumutbar, ebenso wie es sehr wohl zumutbar ist, statt eines teuren Originalpräparates ein (in der Schweiz allerdings nur mässig verbilligtes) Generikum zu nehmen.

Standpunkte und Meinungen

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Unteilbare Tabletten teilen? (5. Februar 2002)
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pharma-kritik, 23/No. 13
PK274
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