Kombinierte nicht-orale Kontrazeptiva

Synopsis

Hormonale Verhütungsmethoden haben in den letzten 50 Jahren die Gesellschaft tiefgreifend verändert. Kombinierte orale Kontrazeptiva, die «Pille», sind auch heute noch die am häufigsten verwendete Schwangerschafts-Verhütungsmethode. Mit der zyklischen Anwendung von kombinierten Östrogen- Gestagen-Präparaten wird die Gonadotropinproduktion gehemmt und dadurch eine Ovulation verhindert. Weitere Wirkungen, die zur antikonzeptiven Wirksamkeit beitragen, sind Veränderungen der Viskosität des Zervixschleims, des Endometriums und der Eileitermotilität.

In den letzten Jahren wurden mit einem Hormonpflaster (Evra®) und einem Vaginalring (NuvaRing®) kombinierte Kontrazeptiva eingeführt, die nicht oral verwendet werden müssen und bisher in unserer Zeitschrift noch nicht besprochen wurden.

Zusammensetzung

Evra®: Ethinylestradiol/Norelgestromin-Pflaster

Das wöchentlich zu wechselnde Matrixpflaster enthält wie alle heute erhältlichen kombinierten oralen Kontrazeptiva als Östrogen Ethinylestradiol (600 mcg pro Pflaster). Als Gestagen kommt Norelgestromin (6 mg pro Pflaster) zur Anwendung, der aktive Metabolit von Norgestimat, das z.B. in Cilest® enthalten ist.

NuvaRing®Ethinylestradiol/Etonogestrel-Vaginalring

Der monatlich anzuwendende Vaginalring besteht aus einem Polymer und enthält ebenfalls Ethinylestradiol (11,7 mg), als Gestagen hingegen Etonogestrel (2,7 mg), den aktiven Metaboliten von Desogestrel, das z.B. in Marvelon® und Mercilon® enthalten ist und zu den Gestagenen der «dritten Generation» gezählt wird.

Pharmakokinetik

Ethinylestradiol/Norelgestromin-Pflaster

Das Hormonpflaster hat eine Fläche von 20 cm2 und gibt im Durchschnitt täglich 20 mcg Ethinylestradiol und 150 mcg Norelgestromin über die Haut in den Körper ab. Sowohl Norelgestromin als auch Ethinylestradiol erreichen im Blut nach etwa 48 Stunden stabile Spiegel. Im Fliessgleichgewicht liegen die Konzentrationen von Norelgestromin und Ethinylestradiol bei 0,8 ng/ml bzw. 50 pg/ml. Die Verfügbarkeit ist bei der Anwendung an Gesäss, Oberarm oder Oberkörper ähnlich, bei der Anwendung am Bauch etwa 20% niedriger, was für eine antikonzeptive Wirkung aber genügt.(1) Gemäss einer kleineren Studie wird die systemische Verfügbarkeit der Wirkstoffe durch die Bedingungen in einem Fitnessclub mit Sauna, Whirlpool, Laufband und Kaltwasserbad nicht wesentlich beeinträchtigt.(2)

Ethinylestradiol/Etonogestrel-Vaginalring

Die Freisetzung aus dem Vaginalring wird mit täglich 15 mcg Ethinylestradiol und 120 mcg Etonogestrel angegeben, die durch die Vaginalschleimhaut resorbiert werden. Spitzenspiegel im Plasma für beide Substanzen werden in der ersten Anwendungswoche erreicht. Mit Durchschnittswerten von 35 pg/ml und 1700 pg/ml sind diese deutlich niedriger als nach Einnahme einer Pille mit 30 mcg Ethinylestradiol und 150 mcg Desogestrel (Marvelon®). Die systemisch verfügbare Östrogenmenge (Fläche unter der Kurve = AUC) beträgt für den Vaginalring etwa 50% derjenigen von Marvelon®, während die Gestagenmenge vergleichbar ist. Im Laufe einer dreiwöchigen Anwendung des Vaginalrings sinken die Plasmaspiegel der Wirkstoffe leicht ab.(3)

Vergleich / Gemeinsamkeiten

In einem direkten Vergleich von Matrixpflaster, Vaginalring und einem oralen Kontrazeptivum mit 35 mcg Ethinylestradiol Vergleich / Gemeinsamkeiten In einem direkten Vergleich von Matrixpflaster, Vaginalring und einem oralen Kontrazeptivum mit 35 mcg Ethinylestradiol war die systemisch verfügbare Ethinylestradiolmenge am grössten mit dem Pflaster (1,6 mal grösser als mit der Pille) und am kleinsten mit dem Vaginalring (2,1 mal kleiner als mit der Pille).(4)

Ethinylestradiol, Norelgestromin wie auch Etonogestrel werden in der Leber metabolisiert. Am Metabolismus beteiligt ist bei allen das Isoenzym CYP3A4. Beim Metabolismus von Norelgestromin spielt ausserdem CYP2A6 eine Rolle. Die Metaboliten von Ethinylestradiol sind wenig hormonell aktiv. Aktive Metaboliten von Etonogestrel sind nicht bekannt, hingegen ist Norgestrel ein aktiver Metabolit von Norelgestromin. Die mittlere Eliminationshalbwertszeit von Ethinylestradiol beträgt etwa 17 bis 20 Stunden, diejenige von Norelgestromin und Etonogestrel etwa 28 bis 30 Stunden.(1,3)

Klinische Studien

Beide Präparate wurden bezüglich ihrer empfängnisverhütenden Wirkung in unkontrollierten Studien untersucht und in randomisierten Studien mit kombinierten oralen Kontrazeptiva verglichen. Placebokontrollierte Studien wurden verständlicherweise nicht durchgeführt.

Ethinylestradiol/Norelgestromin-Pflaster

In einer offen geführten randomisierten Studie bei 1417 gesunden Frauen wurde das Matrixpflaster über die Dauer von 13 Zyklen mit einem oralen Dreiphasenpräparat mit Ethinylestradiol und Levonorgestrel verglichen. Ungewollte Schwangerschaften traten etwas häufiger in der Gruppe mit der Pille auf (2,2 gegenüber 1,2 pro 100 Frauen/Jahr). Der Unterschied war aber statistisch nicht signifikant. Die korrekte Anwendung war etwas häufiger mit dem Pflaster als mit der Pille (88% gegenüber 78% aller Zyklen).(5)

In einer anderen randomisierten Studie, die im Detail nicht veröffentlicht wurde, wurde ein monophasisches orales Kontrazeptivum mit 20 mcg Ethinylestradiol und 150 mcg Desogestrel (Mercilon®) als Vergleichspräparat verwendet. Auch in dieser Studie waren Pflaster und Pille ähnlich wirksam. Ungewollte Schwangerschaften traten unter Behandlung mit dem Pflaster in 0,9 pro 100 Frauen/Jahr auf. Noch etwas tiefer war die Schwangerschaftsrate in einer unkontrollierten Studie bei 1664 Frauen (0,7). Alle drei Studien zusammengenommen wurden 15 Schwangerschaften beobachtet, was einer Rate von 0,9 pro 100 Frauen/Jahr entspricht. Fünf der betroffenen Frauen hatten ein Körpergewicht von über 90 kg.(6)

Gemäss einer Kohorten- und Fall-Kontroll-Studie, deren Daten aus britischen Allgemeinpraxen stammen, ist das Risiko für eine Schwangerschaft unter einer hormonellen Kontrazeption generell tiefer als in den zitierten kontrollierten Studien (0,2 pro 100 Frauen/Jahr). In dieser Studie war das Schwangerschaftsrisiko für Frauen mit dem Hormonpflaster tendenziell etwas höher als mit kombinierten oralen Kontrazeptiva.(7)

Ethinylestradiol/Etonogestrel-Vaginalring

In zwei Beobachtungsstudien bei jeweils etwa 1200 Frauen betrug das Risiko für eine Schwangerschaft 1,2 auf 100 Frauen pro Jahr. In der einen Studie, die in Europa durchgeführt wurde, wurden 6 Schwangerschaften beobachtet (0,7 Schwangerschaften pro 100 Frauen/Jahr). In der anderen, in Nordamerika durchgeführten Studie war das Schwangerschaftsrisiko etwas höher: Die 15 beobachteten Schwangerschaften entsprechen 1,8 pro 100 Frauen/Jahr. Als Ursache des Unterschieds werden häufigere Anwendungsfehler in der amerikanischen Studie angenommen.(8)

In einer offen geführten randomisierten Studie bei 1030 Frauen wurde der Vaginalring über 13 Zyklen hinweg mit einem kombinierten oralen Kontrazeptivum mit 30 mcg Ethinylestradiol und 150 mcg Levonorgestrel (entsprechend Microgynon® 30) verglichen. Es wurden in beiden Gruppen 5 Schwangerschaften beobachtet, dies entspricht 1,2 Schwangerschaften pro 100 Frauen/Jahr. Die Compliance war in beiden Gruppen sehr hoch und die Akzeptanz der Methode in beiden Gruppen ähnlich.(9) In einer weiteren, ähnlich angelegten Studie bei 983 Frauen wurde als Vergleichskontrazeptivum eine Pille mit 30 mcg Ethinylestradiol und 3 mg Drospirenon (Yasmin®) gewählt. Es wurden 1 Schwangerschaft in der Vaginalring-Gruppe und 4 in der Kontrollgruppe beobachtet (0,3 gegenüber 1,0 Schwangerschaften pro 100 Frauen/Jahr, Unterschied nicht signifikant). Die Akzeptanz der Methode war in beiden Gruppen ähnlich.(10)

Unerwünschte Wirkungen

Typische unerwünschte Wirkungen der kombinierten Kontrazeptiva sind Kopfschmerzen und Übelkeit, Brustspannen, Gewichtszunahme und emotionale Störungen. Weitere häufigere Nebenwirkungen sind Schwindel, Migräne, Juckreiz und verstärkte Akne. Eine Veränderung der Menstruation ist die Regel und kann durchaus erwünscht sein (schwächere Blutung, weniger Schmerzen), vor allem, wenn Frauen zuvor an Menorrhagien oder Dysmenorrhoe gelitten haben. Allerdings können auch unerwünschte Zwischenblutungen, häufigere oder verlängerte Blutungen und Ovarialzysten auftreten. Das Hormonpflaster und der Vaginalring scheinen in Bezug auf diese unerwünschten Wirkungen den kombinierten oralen Kontrazeptiva zu gleichen. Es gibt zur Zeit keine verlässlichen Daten, die einen klaren Vor- oder Nachteil der parenteralen Applikation in dieser Beziehung dokumentieren würden. Da die Östrogenmenge, die systemisch verfügbar wird, beim Pflaster höher ist als bei einer niedrigdosierten Pille, könnten östrogenabhängige Nebenwirkungen (z.B. Brustspannen, Migräne) häufiger auftreten. Hingegen könnten Veränderungen der Menstruationsblutung und Zwischenblutungen beim Vaginalring häufiger sein als bei einer klassischen Pille.

Eine der wichtigsten unerwünschten Wirkungen der kombinierten Kontrazeptiva ist ein erhöhtes Risiko für thromboembolische Ereignisse. Gemäss den Daten, die der amerikanischen Arzneimittelbehörde (FDA) vorliegen, verursacht das Hormonpflaster häufiger thromboembolische Komplikationen als orale Kontrazeptiva; in zwei epidemiologischen Studien war die Inzidenz dieser Komplikation rund doppelt so hoch (und in einer weiteren Studie ungefähr gleich hoch) wie unter oralen Kontrazeptiva.(11) Dies würde zu einer im Vergleich mit oralen Kontrazeptiva höheren Östrogenexposition passen. Die FDA hat deshalb im Jahr 2008 verlangt, dass auf die höhere Östrogenexposition im Packungsprospekt speziell hingewiesen wird. Unter kombinierten Kontrazeptiva steigen häufig die Cholesterinwerte (sowohl HDL- als auch LDL-Werte) und/oder die Transaminasen leicht an. Ausserdem kann die Glukosetoleranz vermindert sein. Seltene, aber schwerwiegende Nebenwirkungen sind Tumoren der Brust, der Zervix oder der Leber.

Lokale Irritationen sind bei beiden Präparaten relativ häufig: beim Pflaster in Form von Hautreizungen, beim Vaginalring als Fluor bzw. Vaginitis. Die kontrazeptive Wirkung kann unterbrochen werden, wenn sich das Pflaster ablöst oder der Ring ausgestossen wird oder (seltenerweise) bricht.

Kombinierte Antikonzeptiva sollen in der Schwangerschaft und in der Stillzeit (Veränderung der Muttermilch) nicht verwendet werden.

Interaktionen

Induktoren von CYP3A4 führen zu einer Abnahme der Ethinylestradiolspiegel, was die empfängnisverhütende Wirkung der kombinierten Kontrezeptiva vermindern kann. Dazu zählen insbesondere Antiepileptika wie Carbamazepin (Tegretol® u.a.), Rifampicin (Rimactan®) und die rezeptfrei erhältlichen Johanniskrautpräparate. Auch Antibiotika wie Amoxicillin (Clamoxyl® u.a.) oder Tetrazykline können die kontrazeptive Wirkung reduzieren, möglicherweise über eine Unterbrechung des enterohepatischen Kreislaufs von Ethinylestradiol.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Evra® ist ein Matrixpflaster mit einem Gesamtgehalt von 600 mcg Ethinylestradiol und 6 mg Norelgestromin und ist als Kontrazeptivum zugelassen, aber – wie andere Kontrazeptiva – nicht kassenzulässig. Ein Pflaster wird üblicherweise erstmals zu Beginn der Periode auf Oberkörper, Oberarm, Gesäss oder Bauch aufgeklebt. Nach jeweils einer Woche wird ein neues Pflaster aufgeklebt und nach drei Wochen Anwendung wird eine Woche ohne aufgeklebtes Pflaster eingeschoben. In dieser Woche kommt es in der Regel zu einer Entzugsblutung.

NuvaRing® ist ein als Kontrazeptivum zugelassener Vaginalring mit einem Gesamtgehalt von 2,7 mg Ethinylestradiol und 11,7 mg Etonogestrel. Der Vaginalring wird üblicherweise erstmals zu Beginn der Periode von der Anwenderin selbst in die Scheide eingeführt. Nach drei Wochen wird der Ring entfernt, worauf es in der Regel zu einer Entzugsblutung kommt. Nach einer Woche Pause wird ein neuer Ring eingeführt.

Die Kosten für einen Zyklus (3 Pflaster oder 1 Ring) betragen bei Verwendung der grössten Packung CHF 24.75 (Pflaster) und CHF 23.30 (Ring). Das ist mehr als das Doppelte eines günstigen oralen Kontrazeptivums.

Für beide Präparate gelten die gleichen Kontraindikationen wie für kombinierte orale Kontrazeptiva. Dazu zählen insbesondere vorausgegangene venöse oder arterielle Thrombosen, Lungenembolien und ein Diabetes mit Gefässveränderungen.

Kommentar

Matrixpflaster und Vaginalring ermöglichen eine zuverlässige kombinierte hormonelle Kontrazeption ohne tägliche Pilleneinnahme. Ob sich mit einer deshalb verbesserten Compliance in der Praxis eine bessere Antikonzeption als mit der Pille erreichen lässt, ist bisher nicht überzeugend belegt. Auch bezüglich Verträglichkeit schneidet die parenterale Applikation nicht besser ab. Beide Präparate verursachen ausserdem relativ häufig lokale Irritationen und sind in der Anwendung vergleichsweise teuer. In Anbetracht der im Vergleich mit den heute üblichen «Mikropillen» höheren Östrogenexposition und dem damit verbundenen Thromboembolierisiko eignet sich das Hormonpflaster wohl nur ausnahmsweise als Alternative zur oralen Kontrazeption. Der Vaginalring kann wegen der geringeren Östrogenexposition als akzeptablere Applikationsart bezeichnet werden, wenn eine kombinierte hormonelle Antikonzeption gewünscht wird, eine tägliche Pilleneinnahme aber nicht zumutbar erscheint.

Standpunkte und Meinungen

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Kombinierte nicht-orale Kontrazeptiva (1. September 2009)
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pharma-kritik, 31/No. 2
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