Fesoterodin

Synopsis

Fesoterodin (Toviaz®) wird für die Behandlung der Reizblase empfohlen.

Chemie/Pharmakologie

Als Reizblase bezeichnet man ein Syndrom, bei dem die Betroffenen ohne klare Ursache über Harndrang, Pollakisurie, Nykturie und oft auch Inkontinenz klagen. Die wichtigsten Medikamente zur Behandlung von Reizblasen- Beschwerden sind Anticholinergika. Diese Substanzen blockieren muskarinische Rezeptoren, die im Körper in fünf verschiedenen Varianten vorkommen (M1 bis M5). Der M3- Typ gilt als hauptverantwortlich bei der Regulierung der Harnblasenkontraktion.

Fesoterodin ist das rechtsdrehende Enantiomer eines Diphenylpropylamin- Derivates und wird in Form eines Fumarats dargeboten. Es lässt sich als «Prodrug» definieren, da für die pharmakologische Aktivität der Metabolit 5-Hydroxy- Methyl-Tolterodin (5-HMT) verantwortlich ist. 5-HMT ist auch der wichtigste Metabolit von Tolterodin (Detrusitol ® SR) – bei jenem Mittel ebenfalls wesentlich zur pharmakologischen Aktivität beitragend. 5-HMT hemmt die muskarinischen Rezeptoren, wobei es in Bezug auf die fünf Rezeptortypen keine Selektivität erkennen lässt. Wie man urodynamisch zeigte, wird nach Gabe von Fesoterodin die Detrusoraktivität gebremst und die Blasenkapazität erhöht.(1-3)

Pharmakokinetik

Nach oraler Verabreichung lässt sich Fesoterodin im Plasma nicht nachweisen, weil es durch unspezifische Esterasen rasch zu 5-HMT hydrolysiert wird. (Dies bildet den Unterschied zu Tolterodin, wo die Umwandlung zu 5-HMT über CYP2D6 erfolgt.) Nach Einnahme der sich im Handel befindlichen Fesoterodin-Retardtablette dauert es rund 5 Stunden, bis die maximale Plasmakonzentration von 5-HMT erreicht ist. Gemessen an 5-HMT liegt die biologische Verfügbarkeit von Fesoterodin bei gut 50%. 5-HMT wird in der Leber vor allem über CYP3A4 und CYP2D6 weiter abgebaut, wobei die Produkte kaum mehr pharmakologisch aktiv sind. Die endgültige Ausscheidung geschieht zum grossen Teil über den Urin. Die Halbwertszeit von 5-HMT beträgt 4 Stunden; beim Retardpräparat erfährt sie eine scheinbare Verlängerung auf 7 Stunden, weil die Resorption länger dauert als die Elimination. Bei Personen mit verminderter CYP2D6-Aktivität («poor metabolisers») kann sich die Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve (AUC) verdoppeln und das Risiko von Nebenwirkungen erhöhen. In einem ähnlichen Ausmass steigt die Exposition bei fortgeschrittener Leber- oder Niereninsuffizienz.(1-3)

Klinische Studien

Bei der Dokumentation zur Wirksamkeit des Fesoterodin- Retardpräparates bei Reizblasen-Beschwerden stehen zwei doppelblinde Phase-III-Studien im Zentrum. Beide währten 12 Wochen und setzten sich mit erwachsenen Personen auseinander, die seit mindestens einem halben Jahr unter typischen Reizblasen-Symptomen litten. In beiden wurden als primäre Endpunkte die Abnahme der Miktionsfrequenz und der Dranginkontinenz-Episoden sowie die Ansprechrate festgelegt.

In der ersten Studie erhielten 800 Personen eine von zwei Fesoterodin-Dosen (1-mal 4 oder 8 mg/Tag) oder ein Placebo. Im Durchschnitt sank die Anzahl der Blasenentleerungen mit der niedrigeren Fesoterodin-Dosis von 12,9 auf 11,3 pro Tag, mit der höheren von 12,0 auf 9,9 pro Tag und mit Placebo von 12,2 auf 11,1 pro Tag. Die Dranginkontinenz- Episoden reduzierten sich mit der niedrigeren Fesoterodin- Dosis von 3,9 auf 2,3 pro Tag, mit der höheren von 3,9 auf 1,6 pro Tag und mit Placebo von 3,7 auf 2,7 pro Tag. Über eine Linderung der Beschwerden berichteten 64% der mit 4 mg Behandelten, 74% der mit 8 mg Behandelten und 45% in der Placebogruppe.(4)

Die zweite Studie, 1103 Individuen umfassend, war im Grossen und Ganzen identisch; sie enthielt jedoch eine zusätzliche, vierte Behandlungsgruppe, in der – ebenfalls in retardierter Form – Tolterodin (1-mal 4 mg/Tag) verabreicht wurde. Beide Anticholinergika verminderten die Häufigkeit von Miktionen und die Dranginkontinenz signifikant besser als Placebo. Der Prozentsatz, bei dem die Behandlung subjektiv half, erreichte unter der niedrigeren Fesoteridin-Dosis 75%, unter der höheren 79%, unter Tolterodin 72% und unter Placebo 53%.(5) Gemäss einer nachträglich publizierten Analyse fand sich in einzelnen Aspekten auch ein signifikanter Unterschied zwischen der höheren Fesoterodin-Dosis und Tolterodin(6) – ein Ergebnis, das indessen nicht überrascht und als wertlos zu betrachten ist, da für die Berechnung keine äquipotenten Dosen verwendet wurden und die Studie auch nicht genug «Power» besass für einen Direktvergleich zwischen den beiden Substanzen.

Unerwünschte Wirkungen

Die häufigsten Nebenwirkungen, über die unter Fesoterodin geklagt wurde, waren Mundtrockenheit und Verstopfung. Auch über trockene Augen, Kopfschmerzen, Schwindel, Schlaflosigkeit, Dyspepsie, Dysurie, Harnverhalten, Harnwegsinfekte, Bauchschmerzen, periphere Ödeme, Leberenzymerhöhung und Hautausschlag wurde berichtet. Dazu gibt es einzelne Fälle von Angina pectoris bzw. Brustschmerzen, QT-Verlängerung sowie Gastroenteritis bzw. Divertikulitis, bei denen ein kausaler Zusammenhang mit der Fesoterodin-Einnahme vermutet wird.(1,2)

Interaktionen

Die Tagesdosis von Fesoterodin sollte 4 mg nicht überschreiten, wenn es mit potenten CYP3A4-Hemmern kombiniert wird, die seinen Abbau bremsen. Gleiches ist bei starken CYP2D6-Hemmern zu berücksichtigen. CYP34A-Induktoren vermindern die Fesoterodin-Plasmaspiegel.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Fesoterodin (Toviaz®) ist als Retardtabletten zu 4 mg und zu 8 mg erhältlich, die einmal pro Tag genommen werden. Es wird empfohlen, die Behandlung mit einer Tagesdosis von 4 mg zu beginnen; je nach Wirkung kann dann eine Erhöhung auf 8 mg erwogen werden. Für Fesoterodin gilt wie bei allen Anticholinergika, dass Begleitkrankheiten oder -zustände wie Prostatahyperplasie, Engwinkelglaukom, verminderte gastrointestinale Motilität oder Myasthenia gravis eine besonders strenge Indikationsstellung gebieten. Bei Leberinsuffizienz sollte man – abhängig vom Grad der Funktionseinbusse – die Tagesdosis von Fesoterodin auf 4 mg beschränken oder ganz auf das Mittel verzichten; auch bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz gilt diese Limite. Der Einsatz in der Schwangerschaft oder Stillzeit ist nicht geprüft und zu unterlassen.

Fesoterodin unterliegt der Kassenpflicht; es kostet mit der 4-mg-Tablette CHF 79.45 und mit der 8-mg-Tablette CHF 83.25 pro Monat. Bei einer Behandlung mit Tolterodin (Detrusitol® SR), Darifenacin (Emselex®) oder Solifenacin (Vesicare®) resultiert ungefähr derselbe Preis. Etwas billigere Anticholinergika sind Oxybutynin (Ditropan®, dreimal 5 mg/Tag) mit 56.10 CHF oder Trospiumchlorid (Spasmo- Urgenin® Neo, zweimal 20 mg/Tag) mit 53.95 CHF pro Monat.

Kommentar

Da die Wirkung von Fesoterodin auf demselben Metaboliten beruht wie Tolterodin, wird nur Althergebrachtes aufgewärmt. Die Werbung verspricht eine vorteilhafte Pharmakokinetik; man spielt wohl darauf an, dass – im Gegensatz zu Tolterodin – bei der Umwandlung von Fesoterodin zum aktiven Metaboliten die CYP2D6-Aktivität keine Bedeutung hat. Wie im Abschnitt über die Pharmakokinetik erläutert, ist es aber auch bei Fesoterodin nicht so, dass der CYP2D6 -Polymorphismus zu keinerlei Problemen führen würde. Man liegt kaum falsch, wenn man den Hauptgrund für die Einführung von Fesoterodin darin sieht, dass es das vom selben Hersteller stammende Tolterodin ablösen soll. Letzteres ist zur Zeit der weltweite Marktführer, verliert aber in den nächsten Jahren den Patentschutz. Auch Fesoterodin ändert nichts daran, dass die medikamentöse Behandlung der Reizblase im Allgemeinen nicht von sehr grossem Erfolg geprägt ist.(7)

Standpunkte und Meinungen

  • Es gibt zu diesem Artikel keine Leserkommentare.
Fesoterodin (17. April 2009)
Copyright © 2024 Infomed-Verlags-AG
pharma-kritik, 30/No. 13
PK240
Untertitel Login

Gratisbuch bei einem Neuabo!

Abonnieren Sie jetzt die pharma-kritik und erhalten Sie das Buch «100 wichtige Medikamente» gratis. Im ersten Jahr kostet das Abo nur CHF 70.-.

pharma-kritik abonnieren
Aktueller pharma-kritik-Jahrgang

Kennen Sie "100 wichtige Medikamente" schon?

Schauen Sie ein Probekapitel unseres Medikamentenführers an. Die Medikamente in unserem Führer wurden sorgfältig ausgesucht und konzentrieren sich auf die geläufigsten Probleme in der Allgemeinmedizin. Die Beschränkung auf 100 Medikamente beruht auf der Überzeugung, dass sich rund 90% aller allgemeinmedizinischen Probleme mit 100 Medikamenten behandeln lassen.

Die Liste der 100 Medikamente sehen Sie auf der Startseite von 100 Medikamente.
Passwort beantragen infomed mailings

Fesoterodin