Warum kein Pharma-Wiki?
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 28
, Nummer 10, PK158
Redaktionsschluss: 15. Januar 2007
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2006.158 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
ceterum censeo
Ein Wiki ist eine Internetanwendung, die es jedermann ermöglicht, auf ganz einfache Weise Texte zu publizieren, aber auch bereits veröffentlichte Texte abzuändern. Wikipedia, die sogen. «freie Enzyklopädie» ist das grösste zur Zeit vorhandene Wiki; es enthält Texte in verschiedenen Sprachen, unter anderem auch über eine halbe Million Texte auf Deutsch. Eine wichtige Überlegung hinter den Wikis ist, dass die Zusammenarbeit Vieler notwendigerweise zu einer besseren Enzyklopädie führen sollte als wenn diese nur von einzelnen Personen verfasst wäre. Gleichzeitig entspricht das Wiki-Prinzip mindestens theoretisch einer Demokratisierung des Internets, da es grundsätzlich allen freigestellt ist, daran teilzunehmen. Natürlich finden sich im Internet auch viele Wiki-Beiträge zu Gesundheitsthemen und zu Medikamenten.
Im Anschluss an den pharma-kritik-Text über Herpes labialis erhielt ich von einem aufmerksamen Kollegen einen Kommentar, in dem angeregt wurde, unser Text hätte zwei zusätzliche Elemente enthalten sollen. Da habe ich mich gefragt, weshalb wir – die pharma-kritik oder auch unser Informationsdienst info-pharma – kein Wiki anbieten. Ich möchte nun im Folgenden meine Überlegungen dazu anhand dieses Beispiels kurz wiedergeben.
Der eine Teil des Kommentars bezog sich auf die lokale Anwendung von Tromantadin (Viru-Merz® Serol) und das Risiko, damit zu einer Allergisierung zu führen. Dieser Hinweis fehlt im pharma-kritik-Text; die Autorin, die Reviewer und die Redaktion hatten diese Information offensichtlich für zu wenig relevant gehalten, als dass sie sie erwähnen wollten. Wir werden auf den vier Seiten, die unsere Nummern umfassen, nie genug Platz haben, um alles anführen zu können, das eventuell von Bedeutung sein könnte. (Im Arzneimittel-Kompendium der Schweiz, das einen Umfang von knapp 4000 Seiten hat, findet sich die Information zum Allergie-Risiko von Tromantadin sehr wohl.)
Ich bin ganz davon überzeugt, dass wir – neben enzyklopädischen Werken – zu den Medikamenten auch kurze Texte benötigen, in denen das Wichtigste zusammengefasst ist. Gerade weil man eine Auswahl treffen muss, ist es oft schwierig, gute kurze Texte zu verfassen. Anderseits trifft zu, dass unerwünschte Wirkungen Stiefkinder der Information sind. Grundsätzlich wären deshalb ergänzende Hinweise aus der Praxis durchaus erwünscht. Das «Talkforum», das wir auf unserer Website seit Jahren angeboten haben und das solchen Ergänzungen hätte dienen können, war leider ein Misserfolg. Während der Jahre 2005 und 2006 haben sich insgesamt nur acht Kolleginnen und Kollegen daran beteiligt; in den meisten Fällen ging es weniger um Kommentare als um Fragen. Zudem ist es in den letzten Monaten leider dazu gekommen, dass wir immer wieder sinnlose «Hackereinträge» entfernen mussten. Da es ja viele Möglichkeiten gibt, uns Fragen zu stellen (via Web, Telefon, Fax, Post), haben wir das «Talkforum» vorläufig geschlossen. Selbstverständlich freuen wir uns aber jederzeit, Kommentare (auch negative!) zu erhalten; ich bin überzeugt, dass wir auch Möglichkeiten finden werden, diese Kommentare im Web zu veröffentlichen. Dies gilt natürlich ganz besonders für Berichte zu unerwünschten Wirkungen.
Das zweite Element, das dem Kollegen im Herpes-Text gefehlt hat, ist ein Hinweis auf ein Fieberblasen-Pflaster, das ich hier bewusst nicht mit einem Namen bezeichne. Hier wird offensichtlich, wie problematisch ein Pharma-Wiki für uns sein könnte. Ich zweifle keinen Augenblick an den guten Erfolgen, die der Kollege mit dem XY-Pflaster hat. Nur: es gibt dazu keine einzige kontrollierte Studie. Vielleicht ist den Herstellern eine korrekte Studie zu kostspielig – vielleicht ist das Pflaster aber gar nicht besser als ein beliebiges Heftpflaster. Wenn wir nun ein Pharma-Wiki hätten, würde dort jetzt möglicherweise stehen, das XY-Pflaster sei gut wirksam. Nach den Wiki-Prinzipien könnten wir das ändern, relativieren oder entfernen – irgendwer könnte aber auch diese Änderung wieder rückgängig machen. Mit anderen Worten: es wäre unerlässlich, dass wir uns kontinuierlich mit diesem Wiki befassen, damit fragliche Aussagen korrigiert werden könnten.
Im Zusammenhang mit Medikamenten ist ein Wiki besonders auch deshalb fragwürdig, weil ein ganz grosses Risiko besteht, dass sich kommerzielle Interessen breitmachen würden. (Dies ist auch der Grund, weshalb ich das XY-Fieberblasen-Pflaster nicht mit dem richtigen Namen nenne.) Wie einzelne Print-Publikationen zeigen, ist es ja durchaus möglich, Ärztinnen und Ärzte zu bezahlen, damit ihnen «wissenschaftliche» Beiträge untergeschoben werden können. Es könnte recht schwierig sein, sich gegen solche Machenschaften zu wehren. Kurz: ein Pharma-Wiki würde uns eine Menge zusätzlicher Arbeit bringen und Zeit beanspruchen, die wir besser dafür verwenden, pharma-kritik-Texte zu verfassen. Ob ein Pharma-Wiki (ohne verantwortliche Redaktion) langfristig tatsächlich davor bewahrt werden könnte, in erster Linie den wirtschaftlichen Interessen von Herstellern zu dienen, erscheint mir im heutigen Umfeld eher fraglich.
Etzel Gysling
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