Antidepressiva

Seit in dieser Zeitschrift eine Übersicht zum Thema Antidepressiva erschienen ist,(1) sind 13 Jahre vergangen. Die damaligen allgemeinen Überlegungen sind auch heute noch gültig. Seither sind zwei ältere Antidepressiva – Imipramin (Tofranil®) und Maprotilin (Ludiomil®)  –  vom Markt verschwuden, aber einige neue Substanzen – Agomelatin (Valdoxan®), Bupropion (Wellbutrin®), Duloxetin (Cymbalta®) und Vortioxtin (Brintellix®) – als Antidepressiva propagiert worden.

Grundlagen

Auf welchen Hypothesen basiert die Behandlung mit Antidepressiva?

Die seit Mitte des 20. Jahrhunderts massgebliche, zwar eingängige und elegante, aber zu vereinfachende Hypothese eines Ungleichgewichtes biogener Amine (namentlich Serotonin oder Noradrenalin) ist im 21. Jahrhundert noch keineswegs überwunden. Alle neu eingeführten Antidepressiva beruhen letztlich immer noch auf dieser Hypothese, auch wenn im Einzelfall andere Transmitter oder Rezeptoren-Interaktionen einbezogen werden. Genau genommen ist seit einem halben Jahrhundert kein wirklich neuartiges Antidepressivum eingeführt worden – und hat sich auch kein Antidepressivum im Vergleich zum damaligen Imipramin als wirklich wirksamer erwiesen.

Welche Antidepressiva stehen zur Verfügung?

Die etablierten Antidepressiva werden in der Regel bezüglich Transmitter- und Rezeptor-Interaktionen klassifiziert, siehe Tabelle 1.

Ob diese Klassifizierung jenseits vom Marketing sinnfällig ist, bleibe dahingestellt. Allenfalls kann die Einteilung beim Wechseln oder Kombinieren von Antidepressiva beigezogen werden. In der Übersicht gemäss Tabelle 1 fehlen die in den USA für die Behandlung therapieresistenter Depressionen, aber auch bei melancholischen oder atypischen Depressionen eingesetzten irreversiblen Monoaminoxidase-Hemmer (MAO-Hemmer). Der hierzulande, nicht aber in den USA verfügbare reversible MAO-Hemmer Moclobemid (Aurorix® u.a.) wird unterschiedlich beurteilt, dürfte sich aber hinsichtlich der Wirksamkeit nicht von anderen Antidepressiva unterscheiden.

Von welcher Depression ist eigentlich die Rede, oder: die Evidenz der Evidenz?

Wenn im «Diagnostic and Statistical Manual» (DSM-5) für die Diagnose einer typischen depressiven Episode fünf von neun Kriterien (dabei eines von zwei zwingend) erforderlich sind, ergibt dies je nach kombinatorischer Berechnung 35-70 mögliche Syndrome. In den Studien wurde aber die «Hamilton Depression Rating Scale» (HAM-D), die 17 mögliche Aspekte einer Depression erfasst, am häufigsten verwendet. Diese Kriterien können verschieden ausgeprägt sein (Skalenwert 0-3 Punkte); bei einem Gesamtwert von 17 Punkten, der bei einer starken Ausprägung auch von nur einem Drittel der Symptome erreicht werden kann, wird von einer «mittelgradigen» Depression gesprochen. So ergibt sich eine noch grössere Vielzahl von Depressionen. Weiter werden als Subtypen melancholische, atypische, ängstlich-agitierte, psychotische oder bipolare Depressionen unterschieden, bei denen sich unterschiedliche Antidepressiva als unterschiedlich wirksam erwiesen haben.

Die Bedeutung der evidenz- bzw. studienbasierten Medizin soll nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden, aber: Welche Depression ist jeweils nun genau untersucht worden? Sind die in der Studie berücksichtigten Personen wirklich repräsentativ für den Alltag in Klinik und Praxis?  So werden ältere oder alte Leute, Komorbiditäten, therapieresistente, psychotische oder bipolare Depressionen regelmässig aus den Studien ausgeschlossen. Nach wie vor gehen die meisten Untersuchungen von den Herstellern aus. Dies entwertet die Studien nicht grundsätzlich, muss aber zu einer kritischen Bewertung aufrufen, besonders dann, wenn diese Studien wiederum in Meta-Analysen zusammengefasst werden. Zudem ergibt der Vergleich von publizierten und – aus welchen Gründen auch immer – nicht-publizierten Studien unterschiedliche Effektstärken. Auch sind die meisten Studien kurzfristig angelegt, in der Regel auf nur sechs bis zwölf Wochen.

Wann ist eine antidepressive Behandlung erfolgreich?

Ob eine Verbesserung von durchschnittlich drei Hamilton-Punkten klinisch wirklich relevant ist, darf wohl als eher ungewiss gelten. Für ein nachhaltiges, stabiles Behandlungsergebnis wird demgegenüber eine Remission («Heilung») gefordert, d.h. eine Reduktion auf nur noch einzelne Symptome. Dieses Ziel wird allerdings mit dem ersten Behandlungsversuch nur bei etwa einem Drittel der Behandelten erreicht. Häufig basieren die Studienauswertungen auf einer Response («Besserung», d.h. eine Reduktion auf 50% des initialen Hamilton-Scores).

Ist die Wirksamkeit von Antidepressiva evidenzbasiert?

Ein renommierter amerikanischer Experte bemerkt 2012: "It is disconcerting to admit that 50 years since their introduction, we still don´t even know how well antidepressants work.".(2) Die jüngste, 2018 publizierte Meta-Analyse ergibt für die 21 berücksichtigten Antidepressiva, dass sie zwar wirksamer als Placebo sind, allerdings mit einer eher bescheidenen Effektstärke.(3) Dass dabei einzelne Antidepressiva wirksamer sein sollen als andere, lässt sich (angesichts der zu geringen Effektstärken bzw. der zu geringen Signifikanz) weiterhin kaum begründen.(4) Auch wenn die neue Meta-Analyse ein überraschendes mediales Interesse erhalten hat, bietet sie keine entscheidenden Neuigkeiten. Sie bestätigt die vorbestehenden Schätzungen, dass 50% der mit Antidepressiva Behandelten eine «Response» zeigen, 30% mit Placebo und 20% ohne Behandlung. Bei leichten depressiven Episoden ist allerdings der Unterschied zwischen Antidepressivum und Placebo sehr klein oder fehlt gänzlich.

Wirken Antidepressiva spezifisch antidepressiv?

Diese letztlich nicht beantwortbare Frage drängt sich auf, da das Wirkungsspektrum der Antidepressiva ziemlich breit ist und die Medikamente deshalb oft für verschiedene andere nicht-depressive Erkrankungen zugelassen sind, siehe Tabelle 2.

Sollen weiterhin Antidepressiva eingesetzt werden?

Diese Frage kann bejaht werden, wenn die klinische Erfahrung kritisch einbezogen wird, insbesondere bei schweren Depressionen. Dabei können sowohl hinsichtlich genereller Wirksamkeit wie genereller Verträglichkeit alle etablierten Antidepressiva berücksichtigt werden. Allerdings sind stets nicht-medikamentöse Alternativen (auch als Ergänzung) in Betracht zu ziehen; namentlich die zwischenzeitlich sehr gut dokumentierte kognitive Verhaltenstherapie(5) oder auch eine interpersonelle Psychotherapie. Bei leichten bis mittelgradigen Depressionen ist diese den Antidepressiva ebenbürtig bzw. die Wirksamkeit von Antidepressiva ist bei leichteren Depressionen nicht überzeugend.(6) Erwähnenswert ist auch die Lichttherapie bei saisonalen Depressionen, aber auch als möglicherweise wirksame Ergänzung bei nicht-saisonalen  Depressionen.

Neuere Antidepressiva

Wie sind neuere Antidepressiva zu beurteilen?

Keines der neueren Antidepressiva bringt einen entscheidenden Durchbruch, sie erweitern aber das Repertoire.

- Duloxetin ist als Alternative zu Venlafaxin vielleicht etwas verträglicher und einfacher dosierbar. Dass höhere Dosen als 30 mg oder 60 mg täglich einen Zugewinn bieten, ist kaum begründet, ausser bei (starken) Rauchern. Duloxetin wird eine gewisse Wirksamkeit bei (neuropathischen) Schmerzen zugeschrieben.

- Agomelatin: Ob der Melatoninrezeptoren-Antagonismus tatsächlich von Bedeutung ist, bleibt fraglich. Gemäss der oben erwähnten Meta-Analyse soll Agomelatin ähnlich wirksam sein wie andere Antidepressiva. Höhere Tagesdosen (50 mg) haben wahrscheinlich ein erhöhtes hepatotoxisches Potential.

- Vortioxetin wird als multimodale Substanz beworben, welche nicht nur ein SSRI ist, sondern auch mit verschiedenen Serotoninrezeptoren interagiert - und pro-kognitiv sein soll. Kognitive Beeinträchtigungen können Teil des depressiven Syndroms sein; ob aber die unter üblichen Vortioxetin-Dosen (10  bis 20 mg/Tag) in einzelnen Leistungstests gemessene Verbesserung kognitiver Funktionen klinisch relevant ist, bleibt offen. Auch Vorteile hinsichtlich sexueller Funktionsstörungen sind nicht überzeugend dokumentiert.

- Bupropion vertritt mit der Dopamin-Wiederaufnahme-hemmung einen zusätzlichen Wirkungsmechanismus. Zwei mögliche Vorteile: Bei bipolaren Depressionen ist das Umschlagen in eine manische Symptomatik unwahrscheinlich, sexuelle Funktionsstörungen sind seltener.

Was ist von Ketamin zu halten?

Das Anästhetikum Ketamin wird «off label» bei therapieresistenter Depression verwendet. Das Medikament wirkt rasch, aber nicht nachhaltig und ist mit schwerwiegenden Nebenwirkungen (insbesondere einer Suchtgefahr) verbunden.(7)

Praktische Fragen

Wie soll eine erste Wahl getroffen werden?

Ausgehend von der generellen – nicht aber individuellen – Gleichwertigkeit der etablierten Antidepressiva sind kaum Richtlinien für eine zwingende Differentialindikation verfügbar. Ein gutes Kriterium beruht darauf, dass ein Mittel bereits früher (allenfalls auch bei nahen Verwandten) gewirkt hat. Persönliche Vorlieben der Patientinnen und Patienten für bestimmte Mittel können mitbedacht werden, beeinflusst dies doch die stets bedeutsame Wirkungserwartung.

Auch das Vermeiden bestimmter Nebenwirkungen kann eine Rolle spielen: Möchte jemand auf keinen Fall eine Gewichtszunahme oder ist ein Diabetes gut eingestellt, sind viele Antidepressiva problematisch; unter den neueren Mitteln gelten insbesondere Mirtazapin und Paroxetin als ungünstig. Auch hinsichtlich sexueller Funktionsstörungen ist guter Rat teuer; am wenigsten Probleme scheinen Agomelatin, Bupropion oder Mirtazapin (allenfalls auch als Kombinationspartner) zu verursachen. Für ältere Leute sind alte («zyklische») Antidepressiva wegen der ausgeprägten anticholinergen Wirkung weniger geeignet (mögliche Probleme sind Harnverhalten, paralytischer Ileus, kognitive Beeinträchtigungen, Augendruckanstieg bei Engwinkelglaukom). Besteht eine Hypertonie, so ist von Venlafaxin abzuraten.

Helfen Gentests weiter? 

Mancherorts wird gerne die ABCB1-Genotypisierung schon fast als conditio sine qua non propagiert. Ein handelt sich um einen Ansatz, der noch eindeutig zu wenig gut (und zu wenig unabhängig) dokumentiert ist.(8) Dieselbe Einschätzung trifft auch auf andere Varianten der Genotypisierung (besonders hinsichtlich der Zytochrome) zu.

Mit welchem Verlauf der Antidepressiva-Behandlung ist zu rechnen?

Die Annahme einer Wirkungslatenz ist sicherlich nicht haltbar, zeigt sich doch in den ersten vier Wochen eine zeit-lineare Response-Zunahme. In diesem Zeitraum kann im Einzelfall auch schon eine Dosissteigerung sinnvoll sein. In einer Meta-Analyse stellt sich bis zur 8. Woche eine Response bei zusätzlichen gut 20%, bis zur 12. Woche bei zusätzlichen rund 10% der Behandelten ein.(9) Die allgemein übliche Wartezeit von vier Wochen ist durchaus vertretbar.

Im weiteren Behandlungsverlauf kann eine Toleranzentwicklung oder eine Tachyphylaxie einsetzen. Dieses bisweilen als «poop-out» bezeichnete Phänomen soll bei 10-20% der Patientinnen und Patienten auftreten. Dann ist nach einer Überprüfung der Compliance (Blutspiegel-Messungen) eine Dosiserhöhung, eine Augmentierung oder ein Wechsel erwägenswert.

Zur Frage der Langzeitbehandlung liegen recht wenige Studien vor. Gemäss einer Meta-Analyse,(10) in der 4 bis 6 Monate dauernde kontrollierte Studien berücksichtigt wurden, bleiben Antidepressiva für mindestens 6 Monate wirksamer als Placebo. Dementsprechend soll eine erfolgreiche Behandlung über sechs bis neun Monate weitergeführt werden, da in diesem Zeitraum die Rückfallwahrscheinlichkeit noch relativ hoch sei. Ergänzend ist festzuhalten, dass eine einmal als wirksam gefundene Dosis längerfristig beibehalten werden soll. Zudem wird empfohlen, nach mehreren – besonders schweren, suizidalen – Rezidiven eine mehrjährige Erhaltungsbehandlung in Betracht zu ziehen, allenfalls in Kombination mit einem  «Stimmungsstabilisator» (Antiepileptika, Lithium, einzelne Neuroleptika).

Entzugssymptome (oft als Absetzprobleme bezeichnet) sind in der Regel bei Antidepressiva mit langer Eliminationshalbwertszeit weniger ausgeprägt, dagegen z.B. bei Paroxetin und Venlafaxin oft stark störend. Da das Beenden einer längeren Behandlung auch von subjektiven Faktoren beeinflusst wird, soll mit allen Behandelten gemeinsam ein über mehrere Wochen angelegter, stufenweiser Reduktions- bzw. Absetzplan festgelegt werden. Es ist ratsam, schon früh auf allfällige Entzugssymptome bei zu raschem Absetzen hinzuweisen.

Wenn die Behandlung nicht erfolgreich ist?

Bei Misserfolg kann allenfalls ein Wechsel auf ein anderes Antidepressivum (möglichst aus einer anderen Gruppe), eine Kombination (mit einem anderen Antidepressivum aus einer anderen Gruppe, aber auch mit kognitiver Verhaltenstherapie) oder das Augmentieren (z.B. mit Lithium) helfen. In einer Meta-Analyse wurde untersucht, ob der Wechsel auf ein anderes Antidepressivum tatsächlich besser ist das Beibehalten des bisherigen Medikamentes – nach 4 bis 12 Wochen ergab sich kein Unterschied.(11) Gemäss einer anderen Meta-Analyse bringt auch eine Dosiserhöhung über die üblicherweise empfohlene Dosis hinaus keinen nennenswerten Nutzen.(12) Demnach ist weder die Dosiserhöhung noch der Wechsel eine Massnahme erster Wahl.

Es bleibt das Augmentieren, d.h. eine Kombinationen mit Lithium, Levothyroxin oder einem Neuroleptikum, wobei allerdings zu erwägen ist, dass damit auch zusätzliche Nebenwirkungen in Kauf genommen werden. Als dokumentiert gelten die augmentierenden Kombinationen mit Lithium, Levothyroxin, Aripiprazol, Quetiapin oder Risperidon.(13,14) Bei den Neuropletika sind besonders die extrapyramidalen Nebenwirkungen, bei Risperidon die Hyperprolaktinämie zu bedenken. Insgesamt scheint die Verträglichkeit am besten für Risperidon, am schlechtesten für Quetiapin. Im Einzelfall sollten die verschiedenen Optionen eingehend mit den Patientinnen und Patienten erörtert werden.

Bleiben zwei (hinsichtlich Dosierung und Dauer) adäquate Behandlungsversuche erfolglos, entspricht dies einer sogen. Therapieresistenz. Das wäre der Zeitpunkt für ein spezialistisches Konsil. Allenfalls liegt dann doch – wie in gegen der Hälfte der Fälle – eine bipolare Depression vor. Weitere Verfahren haben sich bei Therapieresistenz – und nur bei dieser – als erfolgversprechend erwiesen: das bereits erwähnte Ketamin, die transkranielle Magnetstimulation (TMS) und die elektrokonvulsive Therapie. Noch fast wichtiger aber ist der Rat eines Experten: «Never give up.»

Probleme

Weniger Nebenwirkungen?

Generell verursachen «neue» Antidepressiva nicht unbedingt weniger, aber andere Nebenwirkungen als «alte». Bei Überdosierungen ist aber bei den letzteren das Sterberisiko wesentlich höher. Das Berücksichtigen von besonderen Syndromausprägungen (z.B. Angst, Schlafstörungen) für eine erste Wahl ist möglich, aber nicht zwingend.

QTc-Verlängerung? 

Das Risiko einer QTc-Verlängerung und daraus resultierenden Kammerarrhythmien lässt sich für kein Antidepressivum absolut ausschliessen. Unter den neueren Mitteln ist insbesondere für höhere Dosen von Citalopram und Escitalopram eine QT-Verlängerung nachgewiesen. Sonst dürfte es sich um Einzelfälle handeln. Dennoch ist es wichtig, vorbestehende QTc-Verlängerungen zu erfassen. Eine EKG-Routinekontrolle kann vor Behandlungsbeginn empfehlenswert sein, ganz besonders wenn jemand auch ein Neuroleptikum erhält.

Hyponatriämie? 

Auch eine Hyponatriämie ist ein seltenes Problem, das sich für kein Antidepressivum sicher ausschliessen lässt; unter SSRI ist das Risiko möglicherweise höher als unter anderen Antidepressiva. Dies gilt insbesondere bei Behandlungsbeginn, kaum aber bei längerfristiger Behandlung, weshalb in erster Linie eine Kontrolluntersuchung nach etwa zwei Wochen angezeigt ist.(15) Prädisponiert sind ältere Leute und Raucher. Wenn es sich um eine klinisch relevante Hyponatriämie handelt, muss das Mittel abgesetzt werden. Eine spätere Re-Exposition ist nur bei sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung vertretbar. In diesem Falle soll eine Kombination mit Lithium vorbeugend wirken.

Beeinflussen Antidepressiva die Suizidalität?

Die Frage, ob Antidepressiva die Suizidalität vor- oder nachteilig beeinflussen, wird in hohem Masse kontrovers diskutiert, mindestens teilweise infolge unzuverlässiger Studiendaten. Eine Depression zählt zweifelsohne zu einer Mehrzahl von Risikofaktoren der Suizidalität, wobei nicht immer klar ist, inwiefern dies Suizidideen oder -verhalten betrifft bzw. was genau die Progression von Suizididee zu Suizidverhalten bedingt. Während gemäss einer neueren Meta-Analyse eine Antidepressiva-Therapie für Kinder und Jugendliche mit einem erhöhten Risiko von Suizidereignissen verbunden ist, ist dies für Erwachsene nicht der Fall.(16) Ob aber die medikamentöse Behandlung eine wie auch immer definierte Suizidalität reduziert, ist damit nicht klar nachgewiesen. In neueren Antidepressiva-Studien ist eine geringere Suizid-Häufigkeit beobachtet worden, möglicherweise weil suizidgefährdete Individuen aus den Studien ausgeschlossen wurden.(17) Jedenfalls gehört bei Erwachsenen, die mit Antidepressiva behandelt werden, eine regelmässige Beurteilung der Suizidalität zur Behandlungsführung.

Sollen Antidepressiva in der Schwangerschaft eingesetzt werden?

Auch die Frage einer Antidepressiva-Verabreichung in der Schwangerschaft wird sehr unterschiedlich beurteilt. Das Depressionsrisiko ist während einer Schwangerschaft nicht erhöht, wohl aber beim Absetzen einer etablierten Behandlung mit Antidepressiva. Letztere stellen damit vermutlich das insgesamt kleinere Risiko dar als eine in der Schwangerschaft nicht behandelte Depression.(18) Wie auch bei anderen Medikamenten sind nur Antidepressiva mit einer ausreichenden (langen) Dokumentation zu berücksichtigen, was derzeit in erster Linie für die SSRI zutrifft. Soll eine einigermassen begründete Auswahl getroffen werden, spricht vieles für Citalopram und Sertralin. Eine hilfreiche Informationsquelle ist www.embryotx.de.

Beeinträchtigen Antidepressiva die Fahrfähigkeit?

Zu unterscheiden wären rechtsmedizinisch-dogmatische Festlegungen (wie eine einjährige Karenzfrist bei rezidivierenden Depressionen) von evidenzbasierten Aussagen, die zudem aus sehr verschiedenen Untersuchungsmethoden hervorgehen können. Antidepressiva be-einträchtigen nicht prinzipiell die Fahrfähigkeit, sondern verbessern diese gemäss einer kleinen Studie wahrscheinlich sogar.(19) Vorsicht geboten ist bei der Einleitung der Therapie sowie bei relevanten Veränderungen: Hier ist jeweils eine zwei- bis dreiwöchige Fahrkarenz indiziert. Generell soll auf problematische Interaktionen und auf die Risiken einer Übermüdung oder eines (auch geringen) Alkoholkonsums hingewiesen werden.

Standpunkte und Meinungen

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Antidepressiva (8. April 2019)
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pharma-kritik, 40/No. 11
PK1063
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