Diuretika und Hauttumoren

Aufgrund eines Untersuchungsberichtes der europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) hat die schweizerische Behörde Swissmedic im November 2018 «wichtige sicherheitsrelevante Informationen zu einem erhöhten Risiko von nicht-melanozytären Tumoren der Haut … unter Exposition gegenüber Hydrochlorothiazid» publiziert.(1) Hydrochlorothiazid ist als Monopräparat (Esidrex®) und als Bestandteil zahlreicher kombinierter Antihypertensiva im Handel. Der Inhalt der erwähnten Mitteilung ist in der Folge auch von allgemeinen Medien aufgegriffen worden und hat zu einer starken Verunsicherung der vielen Patientinnen und Patienten geführt, die ein Hydrochlorothiazid-haltiges Antihypertensivum einnehmen. Eine genauere Analyse der entsprechenden Daten drängt sich daher auf; im folgenden Text werden die Resultate verschiedener Studien zum Thema beschrieben und praxisorientierte Empfehlungen formuliert.


Studien zum Tumorrisiko

Wie für die meisten anderen Medikamente wurden unerwünschte Wirkungen von Hydrochlorothiazid (oder anderen Diuretika) nie langfristig in randomisierten Studien untersucht. Bei den vorliegenden Studien handelt es sich vielmehr um Fall-Kontroll-Studien, in denen retrospektiv «Tumorfälle» mit passenden Kontrollen verglichen werden. Fast alle diese Studien beruhen auf Daten aus Dänemark.

Eine erste Studie betrifft die Region Nordjütland. Für die Zeit von 1989 bis 2003 wurden im Krebsregister die Fälle von nicht-melanotischen Hauttumoren (Basaliomen und Spinaliomen) und malignen Melanomen identifiziert und «passenden» Kontrollen gegenübergestellt. Anhand der Verschreibungs-Datenbank der Region konnte festgestellt werden, ob eine Person vor dem Auftreten des Hauttumors photosensibilisierende Diuretika erhalten hatte. Insgesamt wurden 5964 Fälle von Basaliomen, 1129 Spinaliome und 1010 Melanome identifiziert. Für Personen, die mit der Hydrochlorothiazid-Amilorid-Kombination (in der Schweiz: Moduretic® u.a.) behandelt worden waren, ergab sich ein erhöhtes Risiko für Spinaliome und Melanome. Das entsprechende Inzidenzraten-Verhältnis (IRR) betrug 1,79 (95%-Vertrauensintervall CI 1,45-2,21) für Spinaliome bzw. 1,43 (CI 1,09-1,88) für Basaliome. Ausserdem ergab sich ein erhöhtes Melanom-Risiko für Indapamid (Fludex® u.a.), nämlich ein IRR von 3,30 mit einem CI von 1,34-8,10. Für Hydrochlorothiazid-Monopräparate sowie für verschiedene andere Diuretika konnte kein signifikant erhöhtes Risiko von Hauttumoren errechnet werden.(2)

Eine weitere Studie befasste sich mit dem Hauttumorrisiko verschiedener Antihypertensiva. In dieser Studie wurde für den Zeitraum von 1991 bis 2010 eine grössere Region des nördlichen Dänemark berücksichtigt. Dabei wurde die Verschreibungs-Datenbank der Universität Aarhus und das dänische Krebsregister verwendet. Die Resultate wurden hier als Odds Ratios (OR) ausgedrückt. Auch in dieser Studie ergab sich in erster Linie eine Häufung von Spinaliomen (weniger auch von Basaliomen) unter der Kombination von Thiaziden und kaliumsparenden Diuretika (OR für Spinaliome: 2,68, CI 2,24-3,21). Auch unter kaliumsparenden Diuretika allein waren diese beiden nicht-melanotischen Tumoren etwas gehäuft. Thiazide allein waren nicht signifikant mit einem erhöhten Tumorrisiko verbunden (für Spinaliome z.B. betrug die OR 1,03 mit einem CI von 0,91-1,17). Unter Diuretika waren maligne Melanome kaum signifikant gehäuft. Für alle anderen Gruppen von Antihypertensiva fanden sich keine konsistenten Assoziationen.(3)

In einer amerikanischen Studie, in der ein «matched cohort»-Verfahren verwendet wurde, konnten die Daten von rund 3 Millionen Personen ausgewertet werden, die in den mit der «Northwestern University» in Chicago verbundenen Institutionen behandelt worden waren. Erfasst wurden Erwachsene mit Hauttumoren, denen zwischen 2004 und 2014 ein ACE-Hemmer oder ein Angiotensin-Rezeptorantagonist oder ein Thiazid verschrieben worden war. (Genauere Angaben zu individuellen Medikamenten sind nicht publiziert.) Für alle drei untersuchten Gruppen von Antihypertensiva konnte eine signifikante Assoziation mit nicht-melanotischen Hauttumoren errechnet werden, für die Thiazide zudem auch bezüglich maligner Melanome.(4)

Die neuesten Publikationen betreffen wiederum dänische Daten. Eine Fall-Kontroll-Studie umfasste ganz Dänemark unter Verwendung von fünf Datenquellen, insbesondere von Krebs- und Verschreibungsregistern. Erfasst wurden die Fälle von Spinaliomen und Basaliomen, die zwischen 2004 und 2012 aufgetreten waren. Eine Ausnahme waren die Lippenkarzinome, die separat untersucht wurden; eine Überschneidung mit den Daten der bereits erwähnten Studie aus Nord-Dänemark(3) wurde jedoch nicht explizit ausgeschlossen. Die Studienverantwortlichen nennen die Häufung von Spinaliomen und Basaliomen unter Hydrochlorothiazid als Hauptresultat ihrer Untersuchung und erwähnen in erster Linie die Zahlen, die sich auf eine langfristige Verabreichung beziehen. So ergab sich beispielsweise für eine kumulative Hydrochlorothiazid-Dosis von ≥50'000 mg für das Auftreten eines Spinalioms eine OR von 3,98 (CI 3,68-4,31). Genau genommen beziehen sich diese Angaben jedoch auf Personen, die entweder ein Hydrochlorothiazid-Monopräparat oder eine Hydrochlorothiazid-Kombination (insbesondere mit Amilorid) erhalten hatten. Wird die Analyse auf Personen beschränkt, die kein Amilorid erhalten hatten, sind die Resultate gemäss einer Tabelle im Anhang des Textes wesentlich weniger eindrucksvoll: Gesamthaft beträgt die OR für Spinaliome 1,13 (CI 1,04-1,22), für Basaliome 1,03 (CI 1,00-1,06). Besonders fällt auf, dass u.a. für eine relativ hohe kumulative Hydrochlorothiazid-Dosis (zwischen 75'000 und 99'999 mg) keine signifikante Assoziation besteht (OR 1,60, CI 0,88-2,90). Für andere Diuretika – Bendroflumethiazin (in der Schweiz seit Jahren nicht mehr erhältlich) und Indapamid – und für andere Antihypertensiva fand sich kein Zusammenhang mit Hauttumoren. Für Indapamid lagen allerdings rund zehnmal weniger Daten vor als für Hydrochlorothiazid.(5)

Von der gleichen Forschungsgruppe stammen drei weitere Fall-Kontroll-Studien, nämlich zu Lippenkarzinomen, zu malignen Melanomen und zu selteneren Hauttumoren.(6-8) Die auf demselben nationalen Datenmaterial aus Dänemark beruhenden Studien lassen annehmen, dass alle diese Tumoren bei Personen, die Hydrochlorothiazid einnehmen, etwas gehäuft vorkommen. Mit Ausnahme der Studie bei Lippenkarzinomen enthalten die Resultate zu Hydrochlorothiazid aber wahrscheinlich auch diejenigen zu der Hydrochlorothiazid-Amilorid-Kombination. Im Gegensatz zu den Daten zu den nicht-melanotischen Tumoren fand sich bei den Melanomen keine Abhängigkeit von der kumulierten Hydrochlorothiazid-Dosis.(7)

Eine (noch vor dem Erscheinen der letzten dänischen Studien publizierte) Meta-Analyse kommt dagegen zum Schluss, dass Thiazid-Diuretika nicht mit einem erhöhten Hauttumor-Risiko verbunden seien. Dieselbe Analyse weist dagegen auf die Möglichkeit hin, dass Betablocker und Kalziumantagonisten das Risiko für Hautkrebs erhöhen könnten.(9)

Beurteilung

Die Analyse der vorliegenden Daten zeigt, dass es keineswegs einen so eindeutigen Zusammenhang zwischen Hydrochlorothiazid und Hauttumoren gibt, wie die Mitteilung der Behörden vermuten lässt. So ist unter anderem unklar, ob nicht Amilorid (in Kombination mit Hydrochlorothiazid) substantiell zum Hauttumor-Risiko beiträgt. Auch die Tatsache, dass man sich praktisch nur auf Daten aus Dänemark – wo Solarien besonders häufig verwendet werden –(10) stützen kann, ohne dass entsprechende Informationen zur UV-Exposition eruierbar sind, reduziert die Aussagekraft der vorhandenen Resultate. Es ist deshalb sehr schwierig zu beurteilen, ob sich nun aufgrund dieser Daten das Nutzen/Risiko-Verhältnis von Hydrochlorothiazid nennenswert verändert hat. Thiazide und verwandte Diuretika haben bekanntlich einen sehr gut dokumentierten Nutzen hinsichtlich der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität.

Praktische Überlegungen

Soll man versuchen, Hydrochlorothiazid durch ein anderes Diuretikum zu ersetzen? Indapamid ist in Bezug auf Hauttumoren ungenügend dokumentiert. Chlortalidon – zu dem der beste Nachweis eines kardiovaskulären Nutzens vorliegt – ist in der Schweiz als Monopräparat willkürlich aus dem Markt genommen worden (und zudem ebenfalls bezüglich Hauttumoren nicht dokumentiert). Zum Ersatz durch ein anderes Diuretikum ist daher nicht zu raten.

Soll man versuchen, die antihypertensive Therapie ohne Diuretika durchzuführen? Wenn statt durch Diuretika die Blutdrucksenkung durch andere Medikamente erreicht werden muss, dann ist zu bedenken, dass keine der gebräuchlichen Antihypertensiva-Gruppen hinsichtlich Hauttumor-Risiko definitiv als problemlos erkannt wurde (siehe in den oben erwähnten Studien).(4,9) Auch dies ist nicht sicher eine gute Option.

Soll man die Hydrochlorothiazid-Verabreichung unverändert belassen? Aktuell spricht einiges dafür, unsere Patientinnen und Patienten weiterhin von den Vorteilen des Thiazids profitieren zu lassen. Anderseits: Il n’y a pas de fumée sans feu! Das heisst: Trotz den aktuell vorhandenen Mängeln der Datenlage ist es wahrscheinlich, dass die Entstehung von Hauttumoren durch Hydrochlorothiazid (oder vielleicht durch alle Thiazide) begünstigt wird. Darüber sollte man mit allen betroffenen Patientinnen und Patienten sprechen. Wahrscheinlich wäre es angebracht, die Hydrochlorothiazid-Amilorid-Kombination nicht mehr zu verwenden. Auch ist es sicher prüfenswert, ob es möglich ist, die höhere Tagesdosis von 25 mg zu vermeiden. Höhere Diuretikadosen bringen in der Regel nur einen geringen Zusatznutzen – vielleicht wäre es sogar möglich, mit 6,25 mg täglich (aktuell nicht verfügbar) einen guten Effekt zu erreichen.

Standpunkte und Meinungen

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Diuretika und Hauttumoren (1. März 2019)
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