Cariprazin
- Autor(en): Andreas Frei
- pharma-kritik-Jahrgang 40
, Nummer 8, PK1059
Redaktionsschluss: 23. Januar 2019
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2018.1059 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Cariprazin (Reagila®), ein neues «atypisches» Neuroleptikum, wird zur Behandlung der Schizophrenie empfohlen.
Chemie/Pharmakologie
Cariprazin ist wie Aripiprazol (Abilify® u.a.) ein Piperazin-Derivat und gleicht diesem auch in seinen Eigenschaften. Wie Aripiprazol ist Cariprazin ein partieller Agonist an den Dopamin-D3- und an den Dopamin-D2-Rezeptoren sowie an den Serotonin-5-HT1A-Rezeptoren. Im Unterschied zu anderen Neuroleptika bindet es sich aber in vitro 6- bis 8-mal stärker an Dopamin-D3- als an Dopamin-D2-Rezeptoren. Ebenfalls wie Aripiprazol wirkt Cariprazin an Serotonin-5-HT2B, 5-HT2a- und Histamin-H1-Rezeptoren antagonistisch. Wie bei anderen Neuroleptika ist jedoch nicht klar, worauf die Wirkung genau beruht. Ebenso ist bisher kein Zusammenhang zwischen der stärkeren Bindung an D3-Rezeptoren und der klinischen Wirkung nachgewiesen.(1)
Pharmakokinetik
Cariprazin wird hauptsächlich durch CYP3A4 und (in geringerem Ausmass) durch CYP2D6 zu den Metaboliten Desmethylcariprazin (DCAR) und Didesmethylcariprazin (DDCAR) metabolisiert. Diese sind gleich wirksam wie die Muttersubstanz. Nach oraler Einnahme sind maximale Plasmaspiegel nach 3½ Stunden für Cariprazin, nach 6½ Stunden für DCAR und nach 18 Stunden für DDCAR erreicht. Die terminale Plasmahalbwertszeit von Cariprazin und DCAR beträgt etwa 2-3 Tage, diejenige von DDCAR 14-18 Tage.(2) Unter den üblichen Dosierungen wird ein Fliessgleichgewicht für Cariprazin und DCAR nach 1 bis 2 Wochen und für DDCAR nach frühestens 4 Wochen erreicht. Nach etwa 2 Wochen Behandlung ist hauptsächlich DDCAR für die Wirkung des Medikamentes verantwortlich.(1) Die Exkretion erfolgt überwiegend mit dem Stuhl.
Klinische Studien
Die Wirksamkeit von Cariprazin in der Behandlung der Schizophrenie wurde zunächst in drei sechswöchigen Doppelblindstudien dokumentiert, alle bei Kranken mit einer akuten Exazerbation der Schizophrenie.(3-5)Die Symptome wurden anhand der üblichen psychometrischen Skalen beurteilt (Abkürzungen siehe Tabelle 1).
In einer dieser Studien wurden zwei verschiedene Cariprazin-Dosen (3 bzw. 6 mg/Tag) mit Placebo verglichen. Zudem wurde als aktive Kontrolle eine Gruppe mit Aripiprazol (10 mg/Tag) behandelt; es erfolgte jedoch kein direkter Vergleich zwischen den beiden Neuroleptika. Die insgesamt 604 Patientinnen und Patienten (alle initial hospitalisiert) wurden nach dem Zufall einer dieser vier Gruppen zugeteilt. Nach einer Auswaschphase von einer Woche wurde die Behandlung begonnen. Eine signifikante Abnahme der psychotischen Symptome konnte unter der höheren Cariprazin-Dosis (wie auch unter Aripiprazol) schon nach einer Woche und nach sechs Wochen für alle aktiven Behandlungen festgestellt werden. Am Ende der Studie fand sich auf den PANSS-Subskalen betreffend positiver, negativer und kognitiver Symptome sowie Stimmung eine signifikante Verbesserung gegenüber Placebo, ebenfalls für alle aktiven Behandlungen ohne nennenswerten Unterschied. Etwa zwei Drittel der Teilnehmenden verblieben bis zum Schluss in der Studie – etwas mehr unter Aripiprazol als unter Placebo oder den beiden Cariprazin-Dosen. Wegen schwerwiegender unerwünschter Wirkungen brachen 66 Personen die Studie vorzeitig ab, ähnlich viele in den verschiedenen Gruppen.(3)
In eine Langzeit-Doppelblindstudie wurden nur Patienten und Patientinnen aufgenommen, die in einer 20 Wochen dauernden Vorphase günstig auf Cariprazin angesprochen hatten. Sie erhielten nach dem Zufall die am Ende der Vorphase erreichte Cariprazin-Dosis (3, 6 oder 9 mg/Tag) oder Placebo. Diese Phase dauerte maximal 46 Wochen bzw. bis es zu einem Rückfall kam. Signifikant mehr Teilnehmende unter Placebo erlitten einen Rückfall (47,5% gegenüber 24,8% unter Cariprazin). Allerdings war der Unterschied der durch einen Rückfall notwendig gewordenen Hospitalisationen gering (9,1% unter Placebo, 8,9% unter Cariprazin).(6)
In einer anderen Doppelblindstudie wurde Cariprazin mit Risperidon (Risperdal® u.a.) bei 461 Kranken mit vorwiegend negativen Symptomen einer chronischen Schizophrenie (z.B. Antriebslosigkeit, Anhedonie, Alogie) verglichen. Während einer Titrationsphase von 2 Wochen wurden die Teilnehmenden auf die Zieldosis (täglich Cariprazin 4,5 mg oder Risperidon 4 mg) eingestellt und die bisherige Medikation ausgeschlichen. Anschliessend folgte eine «Kontinuitätsphase» von 24 Wochen. Am Ende der Studie fanden sich die negativen Symptome – gemessen am «Factor Score for Negative Symptoms», PANSS-FSNS – unter Cariprazin signifikant deutlicher reduziert als unter Risperidon.(7)
Cariprazin wurde auch bei der Behandlung von manischen Episoden bei bipolarer Störung klinisch geprüft und ist in den USA ebenfalls für diese Indikation zugelassen.
Unerwünschte Wirkungen
Das Nebenwirkungsspektrum von Cariprazin entspricht weitgehend demjenigen anderer Neuroleptika wie z.B. Aripiprazol. Extrapyramidale Symptome (besonders Akathisie) sind sehr häufig. Häufig werden auch Schlafstörungen, Bewegungsstörungen, Müdigkeit, Schwindel, verschwommenes Sehen, Gewichtszunahme, gastro-intestinale Beschwerden (Übelkeit, Erbrechen u.a.), Tachykardie, Blutdruckanstieg sowie ein Anstieg der Transaminasen und der Kreatinkinase beobachtet. Viele dieser Symptome sind unter höheren Dosen gehäuft; in den USA wurde deshalb eine (initial vorgeschlagene) Tageshöchstdosis von 9 mg nicht zugelassen. In einigen Fällen sind folgende Probleme aufgetreten: eine Exazerbation der schizophrenen Grunderkrankung, eine Verlängerung des QT-Intervalls sowie einzelne kardiale Ereignisse.
Interaktionen
Die gleichzeitige Verabreichung von stärkeren CYP3A4-Hemmern (wie z.B. Clarithromycin, Itraconazol, Verapamil) und auch von Grapefruitsaft führt zu einem Anstieg der Cariprazin-Spiegel und soll vermieden werden. Anderseits sollte auch nicht gleichzeitig mit CYP3A4-Induktoren (z.B. Carbamazepin, Johanniskraut) behandelt werden.
Dosierung, Verabreichung und Kosten
Cariprazin (Reagila®) ist in der Schweiz als Kapseln zu 1,5, 3, 4,5 und 6 mg erhältlich und kassenzulässig. Die empfohlene Anfangsdosis von 1,5 mg/Tag kann bis auf 6 mg/Tag gesteigert werden. Bei der Umstellung von einem anderen Neuroleptikum auf Cariprazin wird mit Vorteil die vorherige Behandlung allmählich abgesetzt und gleichzeitig die Behandlung mit Cariprazin eingeleitet. Bei der Umstellung von Cariprazin auf ein anderes Neuroleptikum ist die sehr lange Halbwertszeit von Cariprazin zu beachten. Mangels Daten soll Cariprazin schwangeren oder stillenden Frauen, Kindern und Jugendlichen nicht verabreicht werden. Auch für Personen über 65 sind keine genügenden Daten vorhanden. Cariprazin kostet dosisabhängig zwischen 172 und 467 Franken monatlich. Es ist damit wesentlich teurer als eine Behandlung mit der Maximaldosis (30 mg/Tag) eines Aripiprazol-Generikums (CHF 132.- monatlich).
Kommentar
Cariprazin soll eine neuartige Wirkungsweise aufweisen, die bei der Behandlung von Negativsymptomen von Vorteil sein soll. Tatsächlich zeigen sich diesbezüglich mögliche Vorteile gegenüber Risperidon, nicht aber gegenüber Aripiprazol. Es ist jedenfalls unklar, ob der Affinität von Cariprazin für den Dopamin-D3-Rezeptor die praktische Bedeutung zukommt, die vom Hersteller geltend gemacht wird. Dass eine Exazerbation der Grundkrankheit unter Behandlung als unerwünschte Wirkung der Behandlung und nicht als Therapieversagen gewertet wird, mag mit dem Wirkungsmechanismus als partieller Agonist am Dopamin-D2-Rezeptor begründet sein, hat aber natürlich auch Folgen für die Beurteilung der Wirksamkeit der Substanz. Die extrem lange Halbwertszeit von Cariprazin kann in der Praxis Vorteile, aber auch (bei Nebenwirkungen) bedeutsame Nachteile haben. Gesamthaft kommt Cariprazin nach heutigem Wissen kein überzeugender Vorteil zu; die Substanz kann deshalb aktuell nicht zur Verschreibung empfohlen werden.
Literatur
- 1) FDA Dokument: https://pkweb.ch/2S4iHFR
- 2) Nakamura T et al. Drug Des Devel Ther 2016 ; 10 : 327-38
- 3) Durgam S et al. J Clin Psychiatry 2015 ; 76 : e1574-82
- 4) Durgam S et al. Schizophr Res 2014; 152: 450-7
- 5) Kane JM et al. J Clin Psychopharmacol 2015 ; 35 : 367-73
- 6) Durgam S et al. Schizophr Res 2016; 176: 264-71
- 7) Németh G et al. Lancet 2017 ; 389 : 1103-13
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