Testosteron bei älteren Männern
- Autor(en): Renato L. Galeazzi
- pharma-kritik-Jahrgang 38
, PK1008, Online-Artikel
Redaktionsschluss: 21. Februar 2017
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2016.1008
Auf unserer Website (www.infomed.ch) finden sich einige Texte zur Testosteron-Substitution bei älteren Männern. Das Hormon wurde in einem Übersichtsartikel über Anti-Aging (1), in mehreren Nebenwirkungsberichten («Bad Drug News») und in verschiedenen Studienzusammenfassungen in infomed-screen erwähnt.
Die werbefreie amerikanische Publikation «The Medical Letter» hat eine im Februar 2016 im New England Journal of Medicine publizierte Studie über Testosteron bei älteren Männern zum Anlass genommen (2), über die Sicherheit der Gabe von Testosteron zu berichten (3).
Studie
In einer mehrteiligen, doppelblind-randomisierten und Placebo-kontrollierten Studie wurde untersucht, ob eine Substitution mit perkutanem Testosteron-Gel (während eines Jahres) die Sexualfunktion, die körperliche Fitness und/oder die Vitalität positiv beeinflusst. Die Vitalität wurde anhand von verschiedenen Skalen erfasst, die unter anderem Müdigkeits-Symptome, Motivation und affektive Symptome messen (2). Eingeschlossen waren 790 Männer im Alter von mindestens 65 Jahren mit einem Plasma-Testosteronwert, der unterhalb der üblichen Normbandbreite lag (<9.6 nmol/L) und welche in der Anamnese Symptome einer reduzierten Androgenaktivität aufwiesen (z.B. verminderte Sexualfunktion). Die transkutane Applikation von täglich 5 g eines 1%igen Testosteron-Gels führte zwar zu einem Anstieg des Testosteron-Spiegels, hatte aber nur eine mässige Wirkung auf die Sexualfunktion, verbesserte die körperliche Fitness nur wenig und hatte keinen Einfluss auf die Vitalität (2). Diese Studie war aber nicht konzipiert, um Nebenwirkungen zu quantifizieren.
Unerwünschte Wirkungen
Am häufigsten werden folgende unerwünschte Wirkungen einer Testosteron-Substitutions-Therapie erwähnt: Akne, Gynäkomastie, Ödeme und Polyzythämie. Selten wurden nach intramuskulärer Injektion einer öligen Lösung von Testosteron-Undecanoat (Nebido®) Öl-Mikro-Embolien in der Lunge gefunden. Besonders bedeutsam ist jedoch die Frage, ob die Substitution zu einem erhöhten Risiko für ein Prostatakarzinom und für kardiovaskuläre Ereignisse führt.
Prostatakarzinom nach Testosteronsubstitution
Unter Testosteron steigt das Prostata-spezifische Antigen (PSA) leicht an. In der oben genannten Studie, bei der Männer mit erhöhtem Risiko für ein Prostatakarzinom ausgeschlossen waren, wurde unter Testosteron bei 23, unter Placebo aber nur bei 8 Männern ein PSA-Anstieg von >1 mcg/l gefunden. Bei vier Teilnehmern wurde während oder im Jahr nach der Therapie ein Prostatakarzinom diagnostiziert, drei davon gehörten zur Testosterongruppe, einer zur Placebogruppe. Grössere Placebo-kontrollierte Studien fehlen offenbar bisher, aber in zwei neueren Übersichtsarbeiten fand sich kein erhöhtes Risiko für ein Prostatakarzinom (4,5).
Kardiovaskuläres Risiko
In einigen Studien fanden sich unter Testosteronsubstitution vermehrt kardiovaskuläre Ereignisse. In der oben genannten Studie erlitten je 7 Männer in beiden Gruppen ein bedeutsames kardiovaskuläres Ereignis (Herzinfarkt, Schlaganfall, kardiovaskulär bedingter Tod). In einer früheren randomisierten 6-Monate-Studie bei 209 Männern mit einem hohen kardiovaskulären Risiko kam es bei 23 Männern in der Verumgruppe zu einem bedeutsamen kardiovaskulären Ereignis, in der Placebogruppe aber nur bei 5 (HR 2,4; p=0,05) (6).
In einer Meta-Analyse randomisierter und placebokontrollierter Studien wurde ebenfalls ein erhöhtes kardiovaskuäres Risiko unter Testosteronsubstitution gefunden (Odds Ratio 1,54; 95% Vertrauensintervall 1,09-2,18). Eine Aufschlüsselung der Daten ergab, dass das Risiko in den nicht von der Industrie gesponserten Studien deutlich höher (OR 2,06) war als in Industrie-gesponserten Studien (OR 0.89) (7). Es gibt jedoch auch Studien, in denen sich kein Zusammenhang zwischen Testosteronsubstitution und Myokardinfarkten oder kardiovaskulärem Tod zeigen liess (8-10).
Schlussfolgerung im «Medical Letter»
Die Sicherheitslage einer Testosteron-Substitutionstherapie bleibt nach wie vor unklar. Es gibt keine überzeugende Evidenz, dass sie das Risiko für ein Prostatakarzinom erhöht. Einige Studien fanden ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko, andere aber nicht.
In der Schweiz erhältliche Testosteron-Präparate
Die aktuell (Februar 2017) in der Schweiz erhältlichen Testosteron-Präparate sind in der Tabelle 1 zusammengestellt.
Unsere Schlussfolgerung
Angesichts dieser Faktenlage dürfen wir bei der Schlussfolgerung bleiben, die im Jahr 2009 in unserer Zeitschrift veröffentlichten Artikel über «Hormone gegen das Altern» geäussert wurde. Hier folgt die Schlussfolgerung jener Übersicht (1) im Volltext:
Es gibt eine «Anti-Aging»-Medizin, die einen relativ grosszügigen Einsatz von Hormonen vertritt, um Alterssymptomen vorzubeugen. Allerdings fehlt bis heute ein handfester Nachweis, dass ältere Menschen, die gemäss gängigen Kriterien
keinen biochemisch und klinisch manifesten Hormonmangel aufweisen, von einer Hormonsubstitution in relevanter Weise profitieren (die in jedem Fall auch als «Off-label»-Anwendung einzustufen wäre). Problematisch ist ausserdem, dass die Langzeitsicherheit solcher Hormonsubstitutionen nicht gewährleistet ist; insbesondere steht bei fast allen der besagten Hormone der Verdacht im Raum, dass sie auf (hormonabhängige) Tumoren eine wachstumsfördernde Wirkung haben könnten. Unter diesen Voraussetzungen kann auch nicht empfohlen werden, dass man ein Screening durchführt (z.B. Testosteron bei Männern).
Literatur
- 1) Masche UP. pharma-kritik 2009; 31: 33-6 (pk693)
- 2) Snyder PJ et al. N Engl J Med 2016; 374: 611-24
- 3) Anon. Med Lett Drugs Ther 2016; 58: 33-4
- 4) Michaud JE et al. Ther Adv Urol 2015; 7: 378-87
- 5) Boyle P et al. BJU Int 2016; 118: 731-741
- 6) Basaria S et al. N Engl J Med 2010; 363: 109-22
- 7) Xu L et al. BMC Med 2013; 11: 108
- 8) Corona G et al. Expert Opin Drug Saf 2014; 13: 1327-51
- 9) Sharma R et al. Eur Heart J 2015; 36: 2706-15
- 10) Morgentaler A et al. Mayo Clinic Proc 2015; 90: 224-51
Standpunkte und Meinungen
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